M.S.Salomon

Bruder B. B.
Re-Mix eines Nachgeborenen

I

Wirklich, auch ich lebe in finsteren Zeiten!
Noch immer ist das arglose Wort töricht.
Noch immer deutet die glatte Stirn
Auf Unempfindlichkeit hin.
Noch immer gilt:
Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Nur das Gespräch über Bäume...
Das Gespräch über Bäume
Ist längst kein Verbrechen mehr
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten
Aufbricht!
Der dort ruhig über die Straße geht
(Und nicht etwa fährt!)
Ist wohl eher erreichbar
Für die Welt, die
In Not ist.

Bruder B.B.
Auch mir sagt man: Iss und trink du!
Sei froh, dass du hast!
Aber – wie Dir – fällt es mir schwer
Zu essen und zu trinken, wenn
Ich dem Hungernden
Entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser
Einem Verdurstenden fehlt.
Und doch – wie Du –
Esse und trinke ich.

Heute, B.B., sind sehr viele weise.
In den neuen Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses als Gutes vergelten
Seine Wünsche erfüllen
Die der Anderen vergessen.
Das gilt als weise.
Doch all das kann ich nicht:
Wirklich, auch ich lebe in finsteren Zeiten!

II

In die Städte kam ich zur Zeit
Der großen Ordnung
In der der Hunger jenseits der
Grenzen herrscht.
Unter die Reichen kam ich zur Zeit
Der großen Ruhe
Die mich empörte.
So vergeht die Zeit
Die auf Erden mir gegeben ist.

Mein Essen verzehre ich heute
Während den Schlachten
Die ich am Bildschirm verfolge.
Schlafen lege ich mich nieder
Mit schlechtem Gewissen.
Und die Liebe
Sie verrottet wie die Natur.
So vergeht die Zeit
Die auf Erden mir gegeben ist.

Die Straßen führen
In die Einkaufspassagen zu meiner Zeit.
Gegen sie anzukämpfen
Vermag ich nur wenig.
Die Kräfte sind gering. Das Ziel
Liegt in großer Ferne.
Es ist deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So vergeht die Zeit
Die auf Erden mir gegeben ist.

III

Bruder B.B.,
Wir, die wir untergehen werden
In der Flut
In der auch Ihr untergegangen seid
Wir wissen, wenn wir von
Euren Schwächen sprechen
Um die finstere Zeit
Der wir nur scheinbar entronnen sind.

Denn auch wir sind verzweifelt
Wenn da nur Unrecht ist
Und keine Empörung.
Und dabei lernten wir doch
Aus Eurem Scheitern:
Der Hass gegen die Niedrigkeit, er
Verzerrt die Züge.
Der Zorn über das Unrecht, er
Macht die Stimme heiser.
Nein.
Man kann den
Hassverseuchten Boden
Nicht aufbereiten für die
Saat der Freundlichkeit
Wenn man selber
Nicht freundlich ist.

Und doch, B.B.
Wir gedenken Eurer
Wie Du es wolltest –
Mit Nachsicht.

Aber:
Wird man unsrer
Überhaupt
Gedenken?
Wird von unseren Städten mehr bleiben
Als der Wind, der
Durch sie hindurchgeht?
Wird der Mensch dem Menschen je
Ein Helfer sein?

So viele Fragen.
Und nur eine Antwort:

Bei den Erdbeben
Die da kommen werden
Dürfen wir
Die schwache Glut unserer Hoffnung
Nicht ausgehen lassen
Durch Bitterkeit.
Wir, die Nachgeborenen
Des armen B.B., der
In die Asphaltstädte
Verschlagen wurde
Aus den schwarzen Wäldern
In seiner Mutter
In früher Zeit.

erschienen in: in naher Ferne. Jahrbuch für Literatur 10. Frankfurt/M. 2003

 home.gif (20220 Byte)