Schlagloch
Zeitung der JungdemokratInnen/Junge Linke NRW

Zensur im Namen des Herrn:

Der Gotteslästerungsparagraph 166 StGB

Anfang dieses Jahres hat das Bundesverwaltungsgericht eine Revision im Fall des Verbots des religionskritischen Theaterstücks "Das Maria-Syndrom" abgelehnt. Dieses war verboten worden, weil es nach Meinung der RichterInnen die religiösen Gefühle von ChristInnen verletzen könnte und so gegen den §166 StGB verstoßen würde.

Im §166 StGB heißt es: „Wer öffentlich...religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Ein Zensur- Paragraph, der geradezu danach schreit, gegen kirchen- und religionskritische Kunst, Literatur und Meinungsäußerung gewandt zu werden. Schließlich ist der öffentliche Friede gestört, wenn die Kirche oder (fundamentalistische) ChristInnen sich „beschimpft" fühlen. (Wogegen jedoch der Fuldaer Erzbischof Dyba abtreibende Frauen unbelangt als Mörderinnen bezeichnen und zum Gedenken an die „ermordeten" Föten die Kirchenglocken bimmeln lassen darf.)

Zur Geschichte des §166 StGB in den letzten Jahren: '68-'70 und '83/'84 (zur geistig-moralischen Wende von Staats- und Parteichef Kohl) waren die Hochzeiten in der Anwendung des 166. Viele der Verfahren endeten damals mit Freispruch.

Mit Beginn der 90er Jahre schlief der §166 mehr oder weniger ein. Diese Situation änderte sich 1994 mit dem sogenannten Kruzifix-Urteil1 : Danach versuchten die christlich-konservativen Kräfte wieder Terrain zu gewinnen. Es gab eine Flut von Klagen gegen taz, Titanic2 , die Kölner alternativ-karnevalistische Stunk-Sitzung und etliche Verfahren mehr gegen weniger bekannte Personen und Gruppierungen. Der aktuellste Fall ist der oben schon erwähnte, seit 1994 andauernde Prozeß gegen die Aufführung des religionskritischen Theaterstücks „Das Maria - Syndrom", der inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Dieser Artikel ist Teil einer Kampagne, die die Aufhebung des Verbots der Aufführung des Stücks und die Abschaffung des Paragrafen 166 fordert.

Der antiaufklärerische Geist, der hier weht, kann nicht als Spinnerei abgetan werden (obwohl es das selbstverständlich auch ist), sondern muß im Kontext des Grund- und Freiheitsrechtabbaus insgesamt und Zensurbestrebungen auch in anderen Bereichen betrachtet werden. Der letzte große Fall war das Vorgehen gegen die "radikal": Dies ist eine Zeitung aus dem autonomen Spektrum, die immer wieder BekennerInnenbriefe von militanten Organisationen zu deren Anschlägen veröffentlicht und sich kritisch zu den Haftbedingungen insbesondere für ehemalige TerroristInnen der RAF äußerte und sie als Isolationsfolter brandmarkte. Die Staatsanwaltschaft warf den RedakteurInnen und VerteilerInnen der "radikal" daraufhin die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§129a StGB) vor, beschlagnahmte die Ausgaben der Zeitung und durchsuchte insgesamt über 30 Wohnungen von Verdächtigen. Die "radikal" muß nun in Holland produziert und von dort verteilt werden,weil es inzwischen unmöglich ist, dies in Deutschland zu tun. Ein anderer Fall von faktischer Zensur betraf 1994 uns selbst: In einem Artikel für diese Zeitung bezeichnete ein Autor die Isolationshaft für Gefangene der RAF als Folter und bezweifelte, daß der Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Karl Raspe Selbstmord gewesen sei. Hierauf beschlagnahmte die Polizei das "Schlagloch", der Autor wurde wegen "Verunglimpfung des Staates" (§90a StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nimmt mensch noch das immer härtere Vorgehen gegen linke und antifaschistische (hier besonders im Osten) Demonstrationen, die Androhung von Verboten bei den revolutionären 1.Mai - und antifaschistischen Demonstrationen in Berlin hinzu, zeigt sich klar: linke, selbst liberal verhaltene Kritik soll weggeschlossen werden. Auf unliebsame Kritik von links wird nicht mehr mit gesellschaftlicher Diskussion oder der üblichen Ignoranz, sondern mit Gesetzen und Organen des Staates reagiert. Nach dem Motto "Erst schiessen, dann fragen" wird jede Art von kritischer Gegenöffentlichkeit verhindert.

Die Einschränkung der Freiheit künstlerischer Äußerungen ist also in eine Reihe zu stellen mit allen anderen Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten: Es geht unter anderem darum, den Herrschenden und Regierenden die lästigen Teile gesellschaftlicher, fortschrittlicher Opposition, die sich weder integrieren (wie Bündnis '90/Die Grünen) lassen, noch sich freiwillig in die Bedeutungslosigkeit verabschieden, vom Hals zu schaffen. Der Weg in eine von Autorität und Konformismus sehr viel stärker als vor zehn Jahren geprägte Gesellschaft ist vorgezeichnet.

Dirk Burczyk

 1 Zur Erinnerung: hier wurde einem bayerischen Vater, dessen Kind zur Schule geht, Recht gegeben, als er gegen die in allen Schulräumen angebrachten Kruzifixe klagte.

 2 Wer sich erinnert: auf dem Titelbild war ein Kruzifix als Klopapier-Halter zu sehen, mit der Bildunterschrift: Spielt Jesus noch eine Rolle?

Medien/Presseberichte