Rechtsanwälte Ehrmann & Webers - Simeonstrasse 19 - 54290 Trier

 
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
56065 Koblenz
Trier, 13.02.1997 E/JH

 In der Verwaltungsstreitsache
Tuchfabrik Trier e.V.
RAe Ehrmann & Webers
 /.
 Stadt Trier

 beigeladen: Herr Michael Schmidt-Salomon

· 11 A 11503/96.0VG -

 
begründe ich die mit Schriftsatz vom 10.01.1997 eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wie folgt:

  Beschwerdegrund:

 
Gestützt wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf J 132 II 1 VwGO. Aus den nachfolgend genannten Gründen vertreten wir die Auffassung, daß im vorliegenden Rechtsstreit klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen zu beantworten sind, deren Bedeutung über den konkreten Einzelfall hinausgehen; der Rechtsstreit hat daher die erforderliche grundsätzliche Bedeutung.  Abzuklärende Rechtsfrage:

 Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts RheinlandPfalz beruht auf der Annahme, daß mit der Aufführung des Rock-Comicals "Maria-Syndrom" die Strafnorm des J 166 I StGB erfüllt werde, zumal hierdurch öffentlich der Inhalt eines religiösen Bekenntnisses anderer in einer Art und Weise beschimpft werde, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Im Rahmen seiner Subsumtion gelangt das Oberverwaltungsgericht zu der Auffassung, daß sämtliche Tatbestandsmerkmale als erfüllt anzusehen sind. Diese Bewertung wird unsererseits nicht geteilt, worauf im folgenden noch eingegangen wird.

  Klärungsbedürftigkeit:

 Im Spannungsverhältnis zwischen Strafrecht einerseits und Kunstfreiheit andererseits sind in der Vergangenheit eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen ergangen, wogegen eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anwendung des J 166 StGB fehlt. Die bislang erkennenden Oberlandes- und Oberverwaltungsgerichte weisen demgemäß auf bereits ältere Entscheidungen - nicht höchstrichterlicher Art - zurück und legen im Rahmen ihrer Entscheidungen jeweils ähnliches Definitionen zugrunde. In Anlehnung an das Urteil des OLG Karlsruhe vom 17.10.1995 - NStZ 1986; Seite 363, 364 - umfaßt der Begriff des "beschimpfens" auch im jetzigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz zwar nicht jede herabsetzende Äußerung, sondern nur durch Form und Inhalt besonders verletzende Äußerungen der Mißachtung, wobei das besonders verletzende entweder äußerlich in der Rohheit des Ausdrucks oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens gesehen wird. Bei der Auslegung und Anwendung von J 166 StGB wird dann auf die Bedeutung und Auswirkung der Kunstfreiheit aus Art. 5 III GG nicht mehr abgestellt, sondern lediglich in Anlehnung an die ältere Rechtsprechung festgestellt, daß eine restrektive Auslegung des vorgenannten Tatbestandemerkmales zu erfolgen hat (vgl. LG Frankfurt, NJW 1982, Seite 659 - Beschimpfung des Papstes in dem Satiremagazin Titanic -; OLG Celle, NJW 1986, Seite 1275).

Ähnliches gilt im Zusammenhang mit der Auslegung des Tatbestandemerkmales 'töffentlicher Friede". Der öffentliche Friede ist geschütztes Rechtsgut des J 166 StGB als Ausdruck des Toleranzgedankens. Geschützt wird allerdings nicht das Glaubensbekenntnis und auch nicht die Kirche und ihre Einrichtungen als solche, sodaß es auf die Betroffenheit einer bestimmten Gruppierung nicht ankommen kann (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1986, Seite 364; OLG Köln, NJW 1982, Seite 657).

 Inwieweit dieses Tatbestandemerkmal Störung des öffentlichen Friedens im Lichte von Art. 5 III GG gesehen werden muß, wurde bislang nur unzureichend behandelt. Klärungsbedürftig ist demgemäß die Frage, ob der hohe Rang der Kunstfreiheit nicht dazu führen muß, daß besonders hohe Anforderungen an das Vorliegen einer Eignung zur konkreten Gefährdung des öffentlichen Friedens zu stellen sind oder ob gar eine mögliche Gefährung hinzunehmen ist.

Klärungsbedürftig ist weiterhin die Frage, ob dem öffentlichen Frieden ein "Rechtsgutcharakter" im Verfassungsrang zukommen kann oder ob dies nur für die dahinterstehenden schützenswerten Rechtsgüter gilt (vgl. hierzu Fischer; Die Eignung den öffentlichen Frieden zu stören; NStZ 1988, Seite 162). Die Grundrechte aus Art. 4 GG sind nicht unmittelbares Schutzgut des J 166 StGB, was dann selbstverständlich bei einer Abwägung im Rahmen von kollidierendem Verfassungsrecht zu beachten ist. Aus diesem Grunde ist eine Verletzung von Art. 4 GG durch die Aufführung von Kunst fast gänzlich ausgeschlossen (vgl. Ott, Anmerkung zu OLG Karlsruhe; NStZ 1986, Seite 366).

Mit dieser Frage setzt sich die bislang ergangene Rechtsprechung der Obergerichte und auch nicht das vorliegende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz auseinander. Gerade dies ist jedoch angesichts solch unscharfer und auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe wie "öffentlicher Friede" im Zusammenhang mit einem möglichen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit erforderlich (vgl. Fischer, NStZ 1988, Seite 166 ff.).

 Unbestrittenermaßen gilt die Kunstfreiheit nicht uneingeschränkt. So wird auch die Auffassung vertreten, daß die Ehre als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zu einer Einschränkung der Kunstfreiheit führen kann, wobei allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht nur strenge, sondern überdurchschnittlich hohe Anforderungen zu stellen sind. Die Entscheidungen, in denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht Schranke der Kunstfreiheit war, ergingen allesamt unter Berufung darauf, daß in diesen Einzelfällen ein Eingriff in die Menschenwürde nach Art. 1 I GG vorlag, welcher als höchster Grundsatz des verfassungsrechtlichen Wertesystems keinem Ausgleich zugänglich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht BVerfG NJW 1987, Seite 2661).

Für den Ausgleich zwischen Kunst einerseits und Beschimpfung religiöser Bekenntnisse mit der Eignung, den öffentlichen Frieden zu gefährden, liegt noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, in denen es um die Menschenwürde aus Art. 1 I GG ging, kann nicht automatisch auf Fallkonstellationen der Kirchenkritik übertragen werden.

 Klärungsbedürftig ist weiterhin die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal "Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören", auch dann als erfüllt zu bewerten ist, wenn eine Vielzahl potentieller Besucher in ihrem Grundrecht auf uneingeschränkte Informationsfreiheit ausgeschlossen werden. Der Ausschluß mündiger Bürger - an einer Kunstaufführung als Besucher teilzunehmen - ist nämlich ebenfalls geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden bzw. zu stören. (Viele Bürger, darunter auch Gegner des Rock-Comicals, die sich das Stück zur eigenen Meinungsbildung anschauen wollten, haben das polizeiliche Verbot als Bevormundung/Entmündigung bewertet.)

 Hieran wird deutlich, daß eine bislang nicht vorliegende Entscheidung für die Fallkonstellation getroffen werden muß, in der durch die Aufführung eines Kunstwerkes ein religiöses Bekenntnis einerseits, aber auch die Kunstfreiheit und darüberhinaus auch das Grundrecht des freien Zuganges zu allen Informationsquellen tangiert wird. J 166 StGB geht üblicherweise davon aus, daß die Betroffenheit eines religiösen Bekenntnisses durch die Ausübung bzw. Nutzung eines Grundrechtes tangiert wird.

 Da es an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung in diesem Zusammenhang fehlt, religiöse Bekenntnisse einerseits und die Kunst andererseits auch zukünftig fortbestehen werden, ist eine höchstrichterliche Rechtsprechung - die über den konkreten Einzelfall hinausgeht - erforderlich.

 Aus den genannten Gründen bitten wir um antragsgemäße Entscheidung.

 

Das Maria-Syndrom-Verfahren