§ 166 - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 1/97

Nun sieht es so aus, als würde der "Gotteslästerungsparagraph" in absehbarer Zeit das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Denn erstmals seit der Reform des § 166 StGB wurde eine Theateraufführung unter Berufung auf die "Gefährdung des öffentlichen Friedens" präventiv verboten, und das mittlerweile bereits in zweiter Instanz. Da die Karlsruher RichterInnen bislang die Kunstfreiheit zumeist vor den Begehrlichkeiten der ZensorInnen in Schutz genommen haben, könnte dem Verfahren eigentlich optimistisch entgegengesehen werden. Doch bleibt abzuwarten, inwieweit die Kampagne gegen das höchste deutsche Gericht nach dem Kruzifix-Urteil im Sommer 1995 Spuren hinterlassen hat.
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Maria-Syndrom bleibt verboten

Auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat das von der Stadt Trier im Mai 1994 gegen das Rock-Comical Das Maria-Syndrom verhängte Aufführungsverbot bestätigt. Da eine Revision nicht zugelassen ist, steht nun wohl der Gang zum Bundesverfassungsgericht bevor.

Bereits das Verwaltungsgericht Trier hatte die Klage des Kulturvereins, der das Theaterstück in sein Programm genommen hatte, als unbegründet abgewiesen. Das Maria-Syndrom sei geeignet, den öffentlichen Frieden durch seine verächtlichmachende Darstellung christlicher Glaubensinhalte zu gefährden und deshalb zurecht verboten worden. Dieser Auffassung schloß sich das OVG weitgehend an. Anders als die Vorinstanz, deren Urteilsbegründung juristisch reichlich substanzlos war, gingen die Richter ausführlich auf die Problematik der Kunstfreiheit ein. Diese, so die Argumentation, finde ihre Grenzen, wenn ein Bekenntnis beschimpft werde und die Schmähung religiöser Werte die künstlerische Gestaltung überwiege. Dies treffe im vorliegenden Fall zu: "Das Maria-Syndrom stellt sich nach den Gesamtumständen als bloße Verächtlichmachung christlicher Glaubensvorstellung dar, mit denen das, was von vielen Gläubigen als heilig verehrt wird, im wahrsten Sinne des Wortes in den Schmutz gezogen wird. Diese Wertung beruht nicht nur auf einzelnen Textpassagen, sondern berücksichtigt den Inhalt des Rock-Comicals, seine Sprache und Ausdrucksweise sowie die Art und Weise der Aufführung [die freilich noch niemand gesehen hat, Anm. der MIZ-Redaktion]. Nach diesem Gesamteindruck stehen Worte und Darstellung des Sexual- und Fäkalbereichs im Vordergrund, die möglicherweise vom Autor beabsichtigte kritische Ansätze völlig überlagern."

Die Ausführungen des Autors Michael Schmidt-Salomon, der ausdrücklich betonte, bei seinen Figuren handele es sich nicht um die biblischen Gestalten, vielmehr gehe es ihm um eine allgemeine Kritik der religiösen Systemen innewohnenden Inhumanität, konnten das Gericht nicht überzeugen. Sie sahen in dem Stück "allein die Herabwürdigung und Schmähung des christlichen Glaubens ... nicht aber die Auseinandersetzung in der Sache" und sprachen dem Werk somit kurzerhand den Kunstcharakter ab (daß die Figur Me-Ti, den die Richter als "Jesus" identifizierten, tatsächlich auf das Buch der Wendungen von Bertolt Brecht hinweist, ist nur eine von vielen literarischen Anspielungen, die die Kunstkritiker in der schwarzen Robe mißverstanden oder überhaupt nicht erkannt haben). "Fairneß und Anstand in der religiösen Auseinandersetzung" seien nicht gewahrt gewesen.

Der öffentliche Friede schließlich sei gefährdet gewesen, wenn "ein solches Stück beanstandungslos" hätte dargeboten werden können und somit durch Theaterkritiken und Berichte von BesucherInnen weitere öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hätte. Besonders ins Gewicht fiel dabei, daß es sich nicht um einen gedruckten Text, sondern um eine szenische und musikalische Darstellung handelte, der offensichtlich eine größere Wirkung zugemessen wird als dem geschrieben Wort.

Autor Schmidt-Salomon sprach nach dem Urteil von "gedanklicher Unklarheit", die sich in der Urteilsbegründung manifestiere. Die Richter hätten offensichtlich nicht verstanden, daß das Maria-Syndrom eine Art Meta-Kritik der Religion im Allgemeinen transportiere und selektiv nur das wahrgenommen, was sie für die Aufrechterhaltung des Verbotes hätten einsetzen können: "Ich denke, daß es für unsere Demokratie alles andere als vorteilhaft ist, wenn BürokratInnen aus der Not ihrer Unbildung eine Tugend machen und mit unnachahmlicher deutscher Ignoranz alles zu Schund erklären, was ihren eigenen, engen, bürgerlichen Maßstäben nicht entspricht. Denn wenn wir dies zulassen, dann steigt auch die Gefahr, daß es irgendwann wieder einmal so weit ist, daß Polizeigewalt entscheidet, was artige und was entartete Kunst ist". Zusammen mit dem seinerzeitigen Veranstalter wird er weiterhin um die Aufführbarkeit seines Stückes kämpfen.

Quellen: Urteil des OVG Rheinland-Pfalz, Az 11 A 11503/96.OVG


Auszug aus der Verteidigungsrede von Michael Schmidt-Salomon

"Was waren die Gründe dafür, daß am 27.Mai 1994 die Uraufführung des Rock-Comicals Das Maria-Syndrom untersagt wurde? (...) So sehr diese differenzierte Betrachtungsweise auch stimmt, es wäre dennoch eine akademische Erbsenzählerei, eine massive Verkennung von Tatsachen, würde man nicht klar herausstellen, daß für das Verbot des Maria-Syndroms in erster Linie doch zwei sehr handgreifliche Gründe ausschlaggebend waren, nämlich (1) die Mitgliedschaft des direkt verantwortlichen Politikers, Herrn Bürgermeister Dr. Neuhaus, im christlich-fundamentalistischen Geheimorden Opus Dei und (2) die wahltaktischen Überlegungen der Christliche Demokratischen Union.

Wie zuletzt auch in der RTL extra-Sendung vom 11.11.1996 berichtet wurde, ist Herr Dr. Neuhaus, dem u.a. das Trierer Ordnungsamt untersteht, Numerarier, d.h. Voll-Mitglied von Opus Dei. Das bedeutet: Herr Neuhaus ist nicht nur zu Armut (sein Bürgermeistergehalt fließt in die Taschen des Ordens), Bußgürteltragen (zwei Stunden täglich) und harter Selbstgeißelung (mindestens eine halbe Stunde wöchentlich) verpflichtet, sondern auch dazu, alles Mögliche im Sinne einer Rechristianisierung der Gesellschaft zu unternehmen. (...) Meines Erachtens hat Herr Neuhaus nichts anderes getan, als diesen Worten seines geliebten 'Vaters' Escriva zu gehorchen. Er wendete heiligen Zwang an. Und er tat dies sicherlich mit bestem Gewissen, denn er war damals (und ist natürlich auch heute noch) davon überzeugt, daß Zensur ein legitimes Mittel ist, um zu verhindern, daß Menschen vom richtigen, nämlich christlichen, oder genauer: streng katholischen Weg abkommen. Genau genommen ist für Herrn Neuhaus ein Leben ohne Zensur überhaupt nicht vorstellbar, denn innerhalb des Opus Dei ist Zensur an der Tagesordnung. (...)

Herr Neuhaus wurde in seinen Verbotsbestrebungen unterstützt durch seine christlich demokratischen Parteikollegen, die ihr erfolgreiches Eingreifen im Fall Maria-Syndrom geschickt im Wahlkampf einsetzten. SPD-PolitikerInnen sagten nach der Wahl, daß ihr schlechtes Ergebnis in der Region Trier zum Teil auch auf den Skandal um das Maria-Syndrom zurückzuführen sei. Wie dem auch sei: Der Zeitpunkt des Verbotes war auf jeden Fall optimal plaziert - einen Tag vor der geplanten Uraufführung und knapp eine Woche vor den Bundestagswahlen. Zufall? Unwahrscheinlich, denn die Tatsache, daß die Ordnungsverfügung zu diesem strategisch günstigen Zeitpunkt erfolgte, ist nicht darauf zurückzuführen, daß die Stadt erst zu diesem Zeitpunkt von dem Stück erfahren hat. Was die ganze Angelegenheit für meinen Geschmack besonders pikant macht, ist, daß das Thema Maria-Syndrom fast genau zwei Jahre später wieder passend zur Wahlkampfzeit in den Medien auftauchte. Wieder ein Zufall?

(...)

Durch die Aufführung des Stücks wäre niemand daran gehindert worden, seine Religion auszuüben. Die Beeinträchtigung hat ja genau in umgekehrter Richtung stattgefunden. Die Macht der christlichen Kirche hat uns daran gehindert, Kunst auszuüben. (...) Überhaupt werden in der bisher von der Justiz befürworteten Betrachtungsweise die realen Machtverhältnisse völlig umgedreht: Da erscheint doch die weltweit machtvoll agierende, kirchlich organisierte Christenheit als ein Zusammenschluß Ohnmächtiger, die man vor den bösen Zungen mächtiger Gotteslästerer zu schützen habe! Als wäre der beißende Spott religionskritischer KünstlerInnen nicht auch zu verstehen als ein Ausdruck der gesellschaftlichen Ohnmacht all derer, die das zarte Pflänzchen der aufklärerischen Vernunft zu schützen gedenken! Was bleibt konsequenten HumanistInnen denn anderes übrig, als mit den Mitteln der Vernunft, des Humors und des Spotts zu kämpfen gegen die letztlich menschenfresserische Allmacht jenseitsgestützter Dummheit? Werfen wir doch einen Blick in die Geschichte. Sie werden keinen Agnostiker finden, der jemals den öffentlichen Frieden gefährdet, der Menschen tyrannisiert, unterdrückt, zum Völkermord aufgerufen hätte - und das aus gutem Grund: Agnostiker sind nämlich in der Lage, ihre falschen Ideen sterben zu lassen, bevor sie (oder andere) für falsche Ideen sterben müssen. Genau dies ist jedoch bei echten Religiösen allzu häufig nicht der Fall. Ihnen wurde ja offenbart, was wahr und falsch ist. Und wenn man nicht an ihre Vorstellungen glaubt, dann wird man eben dran glauben! Nicht umsonst zieht sich die Blutspur der Religionen wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit.

(...)

Und wenn wir schon beim fröhlichen Verbieten sind: Lassen Sie auch die christlichen VeranstalterInnen nicht ungestraft davonkommen, die mich hin und wieder sogar dafür bezahlen, daß ich meine hochgradig gotteslästerlichen Vorstellungen absondere! (...) Wissen Sie, was die mehr als hundert Esslinger ChristInnen, die meiner scharfen Kritik lauschten, nach dem Vortrag taten? Nein, sie haben mich nicht angezeigt, sie haben mich nicht einmal beschimpft. Sie kamen nach vorne, zeigten sich - obwohl sie natürlich nicht mit allem übereinstimmen konnten - 'tief beeindruckt von dem gelungenen Vortrag', einige sagten, sie hätten 'interessante Denkanstöße bekommen', eine 'neue Sicht der Dinge gehört und müßten nun vieles überdenken'.

Welchem Beispiel wollen Sie nun in Ihrer Rechtsprechung folgen? Dem Beispiel der Esslinger ChristInnen, die die schlimmste Beleidigung ihres Glaubens schluckten, die man sich überhaupt vorstellen kann (nämlich den Jesus-Eichmann-Vergleich)? Wollen Sie dem Beispiel dieser aufgeklärten Menschen folgen, die die scharfe inhaltliche Auseinandersetzung nicht fürchten, ja sogar eine Wiederholung bzw. Fortsetzung der Diskussion wünschten? Oder folgen Sie der engen Stirn christlicher FundamentalistInnen, für die selbst Kants Kritik der reinen Vernunft Teufelswerk ist?

Mit anderen Worten: Stärken Sie mit Ihrem Urteilsspruch die produktive Streitkultur der Aufklärung oder aber machen Sie sich zu Handlangern von Leuten, die mit heiligem Zwang einen antiaufklärerischen Gottesstaat errichten möchte? Offenheit oder Offenbarung? Das ist die zentrale Frage, der Sie sich zu stellen haben."


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