BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BESCHLUSS

 

BverwG 1 B 60.97/OVG 11 A 11530/96

  In der Verwaltungsstreitsache

des Tuchfabrik Trier e.V., vertreten durch den
1. Vorsitzenden Helmut Schwickerath, Wechselstraße 4 - 6, 54290 Trier,
- Prozeßbevollmächtigte:  Rechtsanwälte Thomas Ehrmahn und Bernhard Webers, Simeonstraße 19, 54290 Trier -

 g e g e n

 die Stadt Trier, vertreten durch den Oberbürgermeister, Am Augustinerhof, 54290 Trier,

 Beigeladener:
 Herr Michael Schmidt-Salomon, Im Mont 12, 54309 Butzweiler,
 - Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Thomas Ehrmann und Bernhard Webers, Simeonstraße 19, 54290 Trier -

 hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Dezember 1997
durch den Vorsitzenden Richter M e y e r und die Richter
G i e l e n und R i c h t e r

beschlossen:

 
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Dezember 1996 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

  G r ü n d e

 
Die Beschwerde muß erfolglos bleiben. Sie genüqt nicht den Darlequngsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und ist deswegen nicht zulässig.
 Der Kläger beruft sich allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Eine solche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich ist und sich in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten läßt, sowie einen Hinweis auf den Grund, der die Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerdebegründung muß daher erläutern, inwiefern sich im Revisionsverfahren eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage stellt und weswegen diese Frage revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung des Klägers nicht.

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, daß die Ordnungsverfügung der beklagten rechtswidrig war, mit der ihm unter Hinweis auf den Straftatbestand des § 166 Abs. 1 stGs die Aufführung eines sog. Rock-Comicals "Das Maria-Syndrom" untersagt worden war. Der Kläger hält zunächst die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob der hohe Rang der Kunstfreiheit nicht dazu führen muß, daß besonders hohe Anforderungen an das Vorliegen einer Eignung zur konkreten Gefährdung des öffentlichen Friedens zu stellen sind oder ob gar eine mögliche Gefährdung hinzunehmen ist". Die Beschwerde erwähnt in diesem Zusammenhang Rechtsprechung von Land und Oberlandesgerichten, nicht jedoch höchstrichterliche Rechtsprechung. Die Beschwerde legt insbesondere nicht dar, inwiefern angesichts der im Berufungsurteil zum Teil ausdrücklich genannten Rechtsprechung vor allem des Bundesverfassungsgerichts, aber auch des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu diesem Fragenkomplex noch ein Klärungsbedarf besteht.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in mehreren Entscheidungen mit dem Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und Straftatbeständen befaßt (vgl. z.B. BVerfGE 81, 278 <292 ff.>). Der Bundesgerichtshof hat sich ebenfalls wiederholt mit diesem Problembereich beschäftigt (vgl. z.B. BGHSt 37, 55 <62 ff.>), teilweise unmittelbar im Zusammenhang mit § 166 StGs (GA 1961, 240). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in unterschiedlichen Zusammenhängen das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und ordnungsrechtlichen Eingriffsbefugnissen mehrfach erörtert (vgl. z.B. BVerwGE 77, 75 <82>; 91, 223 <224 f.>). Nach dieser Rechtsprechung findet die Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, obwohl die Kunstfreiheit dort vorbehaltlos gewährleistet ist, ihre Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter. Vielmehr kann sie mit Verfassungsbestimmungen aller Art kollidieren; denn ein geordnetes menschliches Zusammenleben setzt nicht nur die gegenseitige Rücksichtnahme der Bürger, sondern auch eine funktionierende staatliche Ordnung voraus, welche die Effektivität des Grundrechtsschutzes überhaupt erst sicherstellt. Kunstwerke, welche die verfassungsrechtlich gewährleistete Ordnung beeinträchtigen, unterliegen daher nicht erst dann Schranken, wenn sie den Bestand des Staates oder der Verfassung unmittelbar gefährden. Vielmehr muß in allen Fällen' in denen andere Verfassungsgüter mit der Ausübung der Kunstfreiheit in Widerstreit geraten, ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziele ihrer Optimierung gefunden werden. In einem derartigen Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern bedarf es daher im Einzelfall einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsqüter (vgl. BVerfG a.a.O.). Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, es müsse eine sorgfältige Abwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles stattfinden, um zu einem Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit einerseits und den selangen des § 166 StGB andererseits zu kommen, und hat auch mit Blick auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale diese Abwägung dann im Entscheidungsfall vorgenommen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, ob und inwieweit ein Revisionsverfahren, in dem es im übrigen nicht um die Strafbarkeit nach § 166 StGB, sondern um die Rechtmäßigkeit einer ordnungsbehördlichen Ermessensentscheidung ginge, die zusätzlich durch Umstände des Einzelfalles gekennzeichnet ist, zu weiteren fallübergreifenden Erkenntnissen führen kann.

 Die Beschwerde hält ferner für grundsätzlich bedeutsam, ob dem durch § 166 Abs. 1 StGB geschützten öffentlichen Frieden "Rechtsgutcharakter" im Verfassungsrang zukommt oder ob dies nur für die dahinterstehenden schützenswerten Rechtsgüter gilt; dies sei bei einer Abwägung im Rahmen von kollidierendem Verfassungsrecht beachtlich. Die Beschwerdebegründung macht nicht ersichtlich, weshalb diese Frage bei den konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Falles auf eine klärungsbedürftige Problematik führen soll. § 166 Abs. 1 StGB bedroht mit Strafe, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Es ist nicht zweifelhaft, daß der Schutzzweck des § 166 Abs. 1 StGB in engem Zusammenhang mit den grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 GG steht. Die Belange des § 166 Abs. 1 StGB haben daher verfassungsrechtliches Gewicht und müssen in einem Fall wie dem vorliegenden mit dem Gewicht, das ihnen fallbezogen zukommt, in Beziehung gesetzt und abgewogen werden mit der Bedeutung, die der Kunstfreiheit im Einzel- . fall zuzumessen ist, ohne daß es entscheidend darauf ankommt, zwischen einem im Vordergrund und einem "dahinterstehenden" Rechtsgut zu unterscheiden. Das Berufungsgericht ist übrigens hiervon ausgegangen, indem es im Zusammenhang mit seiner Feststellung, im Vordergrund der beabsichtigten Aufführungen stehe die Herabwürdigung und Schmähung des christlichen Glaubens, u.a. ausgeführt hat, zum inneren Frieden gehöre "die Toleranz in Glaubens- und Weltanschauungsfragen, ohne die eine freiheitlich-pluralistische Gesellschaft nicht existieren" könne; jeder solle seinem Glauben nachgehen können, ohne befürchten zu müssen, deswegen öffentlich "diffamiert und ins Abseits gestellt zu werden".

 Die Beschwerde hält schließlich sinngemäß für klärungsbedürftig, ob für die Strafbarkeit nach § 166 Abs. 1 StGB von Bedeutung ist, daß potentielle Besucher einer verbotenen Kunstaufführung in ihrem Grundrecht auf uneingeschränkte Informationsfreiheit beeinträchtigt werden. Auch insoweit macht das Beschwerdevorbringen nicht in der erforderlichen Weise deutlich, weshalb ein Klärungsbedarf bestehen soll. Die Informationsfreiheit gewährleistet das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). Sie gewährt also Personen, die an dem Besuch einer Veranstaltung aus Informationsgründen interessiert sind, kein Recht darauf, daß die Veranstaltung stattfinden darf (vgl. auch Beschluß vom 24. August 1979 - BVerwG 1 B 76.76 - Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 16). Ob die Veranstaltung durchgeführt werden darf, ist in Fällen der vorliegenden Art grundrechtlich eine Frage der Meinungsund Kunstfreiheit des Veranstalters bzw. Autors. In einem Revisionsverfahren ginge es daher allein um die seurteilung, ob die streitige Ordnungsverfügung im Hinblick auf das Grundrecht des Klägers aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einerseits und die von der Ordnungsbehörde verfolgten Belange des § 166 Abs. 1 StGB andererseits rechtmäßig ist. Das Interesse potentieller Besucher einer "Beschimpfung" im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB ist entgegen der Auffassung der Beschwerde für den durch die Strafvorschrift geschützten öffentlichen Frieden ohne rechtliche Relevanz und könnte deshalb in eine revisionsgerichtliche Prüfung nicht einbezogen werden.

 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

   Meyer Gielen Richter

 

Das Maria-Syndrom-Verfahren