Dr. Michael Schmidt-Salomon, Trier

Wer schützt uns vor den Lebensschützern?
Neue Fronten im Kampf um den Schwangerschaftsabbruch

MIZ 3/99

Als Erzbischof Dyba vor kurzem in einem viel beachteten Interview mit der Welt die "Scheinlösung" der Deutschen Bischöfe als "Etikettenschwindel und Heuchelei" und "den Intentionen des Papstbriefes entgegenlaufend" bezeichnete (1), gingen in seiner Bistumsstube nicht nur Proteste ein. Im Gegenteil. Die Reaktionen seien überwiegend zustimmend gewesen, ließ ein Sprecher des Bistums verlauten. Das Sekretariat der von Dyba scharf attackierten Bischofskonferenz versank derweil in verlegenes Schweigen. Man weiß dort sehr wohl, wie brenzlig die Lage ist: Dybas enge Kontakte zum Heiligen Stuhl sind bekannt. "Wer Dyba abwatscht, watscht Rom ab", heißt es in informierten Kreisen.

Uneingeschränkt positiv reagierten freilich die verschiedenen Lebensschützerverbände auf Dybas Stellungsnahme. Prof. Dr. med. Schmid-Tannwald von der Gruppierung Ärzte für das Leben wünschte der "katholischen Kirche, der viele unserer Mitglieder angehören, eine klare Entscheidung, die dem Schutz der Ungeborenen in jeder Hinsicht gerecht wird!" (2)

Die papsttreue Internet-Initiative AlphaOmega ( "Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende" (Apk 22,13)) forderte, man müsse nun endlich "Farbe bekennen". Die Alternative laute "Kirche oder Beratungsschein". Ausgesprochen scharf fiel daher auch die Erwiderung von AlphaOmega auf den offenen Brief der Kirchenreform-Initiative Wir sind Kirche aus, die von der Deutschen Bischofskonferenz gefordert hatte, im Notfalle auch gegen Rom für einen Verbleib im deutschen Schwangerschaftsberatungssystem zu votieren: "Es war doch zu erwarten, daß der Papst keine Entscheidung fällen würde, die allem, was die Kirche sonst lehrt, widerspricht! Wie konnten Sie so etwas erwarten oder gar erhoffen? Es gibt Dinge, die wesentlich katholisch sind, und die nicht verhandelbar sind. Offensichtlich glauben Sie nicht daran - fragen Sie sich eigentlich manchmal, ob Sie in der katholischen Kirche am richtigen Platz sind?" (3)

Ins gleiche Horn stieß die in neokonservativen Kreisen hochgeschätzte, katholische Bestsellerautorin Christa Meves. Sie sah in der rigorosen päpstlichen Haltung die längst fällige Kampfansage an die unselige "Kultur des Todes": "Hätte der Papst sein Placet zum Beratungsschein gegeben, hätte er sich gewunden wie das Bundesverfassungsgericht, so hätte er damit seine Kirche (und unsere gesamte Gesellschaft) an die Kultur des Todes ausgeliefert. Das aber käme einer Zustimmung der Kirche zum Selbstmord unserer Gesellschaft gleich, und das wiederum wäre eine Todsünde gegen Gott, der das Leben will und der die Liebe ist." (4)

Rückendeckung erhalten katholische Hardliner wie Johannes Paul II, Kardinal Ratzinger und Erzbischof Dyba indes nicht nur aus den eigenen Reihen. Auch in der evangelischen Kirche Deutschlands regt sich seit längerem Kritik an der Ausstellung von Beratungsscheinen für Schwangere. Nach dem Brief des Papstes an die römisch-katholischen Bischöfe forderten - so der evangelische badische Landesbischof Klaus Engelhardt - auch "ernstzunehmende Gruppen" auf evangelischer Seite von den Kirchenleitungen, eine entsprechende Lösung voranzutreiben. Konservative, evangelikale und pietistische Kreise innerhalb der evangelischen Kirche deuteten das rigorose päpstliche Veto in Sachen Schwangerschaftsabbruch als machtvolle Bestätigung der eigenen Position.

Einer der wichtigsten Akteure innerhalb dieses rechten evangelischen Spektrums ist KALEB (Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren). KALEB wurde 1990 "von aktiven Christen in Leipzig gegründet" und bezeichnet sich selbst als "die erste Lebensrechtsbewegung in den neuen Bundesländern". (5) Der Schwerpunkt der Arbeit von KALEB liegt in der Öffentlichkeitsarbeit, für die die christlichen LebensschützerInnen recht innovative Infomaterialien erarbeitet haben: Im Angebot finden sich neben Informationsbroschüren, Autoaufklebern und Videofilmen auch eine "naturgetreue Nachbildung eines ungeborenen Kindes aus Plastik" (10. Lebenswoche) und eine Tonbandkassette mit der Aufnahme des Herzschlag eines Kindes (6 Wochen und 5 Tage nach Empfängnis), die mit dem packenden Slogan "ein schlagender Beweis des Menschseins von Anfang an" beworben wird.

Natürlich ist KALEB nicht die einzige bedeutende Anti-Abtreibungsorganisation im deutschsprachigen Raum. Auf freireligiöser Seite ist seit Jahren die Pro Vita-Bewegung aktiv. Pro Vita stellt ein beachtliches Arsenal von Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit bereit: Vom "Tagebuch eines ungeborenen Kindes", über "Theologisch-ethische Thesen über Abtreibung" bis zu "Unterrichtseinheiten für Biologie und Religion" ist alles zu finden, was das geplagte LebensschützerInnenherz begehrt. Ähnlich umfassend stellt sich das Angebot von ALfA (Aktion Lebensrecht für Alle) dar, einer Organisation, die sich zwar selbst als "politisch und religiös neutral" bezeichnet, tatsächlich jedoch wie alle anderen deutschsprachigen Lebensschutzorganisationen im rechtskonservativen christlichen Spektrum anzusiedeln ist. Enge Kooperationspartner von AlfA sind neben den Christdemokraten für das Leben (CDL) und der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. (JVL), die bereits oben erwähnte Vereinigung Ärzte für das Leben, die schon 1992 gemeinsam mit der Europäischen Ärzteaktion das "Wartburger Manifest" verabschiedetet hat. In diesem Dokument heißt es u.a.: "Wir stellen fest, daß das Bundesgesundheitsministerium keinerlei moralische Berechtigung habe, Kürzungen an ärztlichen Leistungen oder Medikamenten vorzunehmen, solange die Massentötung ungeborener Kinder von allen Versicherten durch ihre Krankenkasse finanziert werden müssen und junge Mädchen vom Staat zur frühzeitigen Aufnahme sexueller Beziehungen ermuntert werden durch die Kostenübernahme für die "Pille" und die Embryoneneinnistung verhindernde Mittel und dafür Ärzte und Pharmazeuten Handlangerdienste leisten sollen."

Die oben genannten Lebensschutzorganisationen, die - wie gesagt - politisch allesamt dem äußeren rechten Rand zuzuordnen sind, haben sich unlängst zur "Arbeitsgemeinschaft Lebensrecht" (AGL) zusammengeschlossen. Einige von ihnen engagieren sich zudem noch in der "Europäischen Arbeitsgemeinschaft Mut zur Ethik", dem vielleicht wichtigsten Sammelbecken rechtskonservativer Politik in Europa (Der Arbeitsgemeinschaft gehören an: Europäische Ärzteaktion e.V. EÄA, World Federation of Doctors who respect Human Life (allein diese Organisation verfügt über rund vierhunderttausend Mitglieder), Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis VPM Zürich, The Roman Forum, The Dietrich von Hildebrand Institute, Verein für konservative Kultur und Bildung e.V., Bund der Arbeitskreise für ein qualifiziertes Studium BAQS e.V., Campaign for Real Education CRE, Plattform Ärzte für das Leben, Wiener Akademikerbund, Arbeitskreis Wirtschaft und Verwaltung, Neuer Rütlibund, AIDS-Aufklärung Schweiz AAS, Arbeitskreis Christlicher Publizisten ACP, Verlag Menschenkenntnis, Konservative Sammlung e.V., Pro Vita Bewegung für Menschenrecht auf Leben, Österreichische Konservative Union, Internationale Gesellschaft für Psychologie e.V., Verein Kritische Auseinandersetzung mit Zeitfragen, Konservative Korrespondenz, Cercle civique européen, Junge europäische Studenteninitiative Jes, Gesellschaft für soziale Demokratie e.V., The Civic Institute, u.v.m.) (6)

Allen Lebensschutzorganisationen gemeinsam ist das Eintreten für ein generelles Abtreibungsverbot bei Strafandrohung, eine ungemeine Idealisierung der bürgerlichen Familie, sowie die Propagierung sexueller Enthaltsamkeit bis zur Ehe. Vermittelt werden diese "heiligen Werte des Abendlandes" meist auf höchst unsachliche Weise - mit dramatisch belichteten Bildern, rührenden Anekdoten, unzulässigen Generalisierungen und pseudowissenschaftlichem Hintergrundinformationen.

Ein typisches Beispiel hierfür ist das Internetangebot der vielbesuchten Domain http://www.abtreibung.de: Begrüßt wird man hier - wie auch auf vielen anderen Homepages von Abtreibungsgegnern - mit einem kunstvoll aufbereiteten Bild eines 9 Wochen alten Embryos. Der darunter stehende Einleitungstext suggeriert, daß Abtreibung Mord sei, weil bei jeder Abtreibung ein "richtiger Mensch" auf brutale Weise getötet werde. Unterhalb dieses Textes finden sich gängige Argumente, die scheinbar für die Rechtfertigung von Schwangerschaftsabbrüchen sprechen. Jedes dieser Pro-Argumente ist verlinkt mit einer Datei, die entsprechende Gegenargumente liefert. Klickt man z.B. auf das säkulare Argument: "Ich lasse mich auch von der Kirche nicht bevormunden. Ich entscheide nach meinem Gewissen", erhält man die - aus säkularer Perspektive - freilich kaum überzeugende "Widerlegung": "Bei dem Gebot: "Du sollst nicht töten" handelt es sich nicht um ein Kirchengebot, sondern um ein Gebot Gottes und zugleich um das Naturrecht des Menschen auf Leben. Ein fehlgeleitetes Gewissen kann nicht die oberste Instanz und Norm sittlichen Verhaltens sein. Die höchste Norm menschlichen Verhaltens ist immer das göttliche Gesetz."

Durch einen Mausklick auf das Argument "Wir müssen helfen, nicht strafen. Eine Änderung des §218, d. h. die Abschaffung der Strafe, wird die Abtreibungszahlen nicht senken" gelangt man zu folgender "Widerlegung": "Was nicht bestraft wird, wird getan. Ein Kind zu töten, ist eine kriminelle Tat, ein Verbrechen. Höchstes Rechtsgut aber ist das Leben eines Menschen. Was würden wir tun, wenn unser Leben strafrechtlich nicht mehr geschützt wäre? Das Strafrecht wirkt sittenerhaltend." Der Kommentar endet mit der verblüffenden Aussage: "Die Erfahrungen aller Länder, in denen Abtreibung legalisiert wurde, zeigen, daß nach Wegfall der Strafandrohung die Zahl der Abtreibungen sprunghaft in die Höhe schnellte und sich vervielfachte."

Daß diese empirische Behauptung nicht mit Zahlen belegt wird, sollte nicht verwundern. In Wirklichkeit hat ein signifikanter Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche nirgends stattgefunden, geschweige denn die hier behauptete "Vervielfachung der Zahl der Abtreibungen" (siehe die nachfolgende Tabelle).

Auf die Frage: Ist Abtreibung im Falle einer Vergewaltigung rechtfertigt? antwortet www.abtreibung.de. mit der rührenden Anekdote einer "glücklich verheirateten Frau": "Ein Einbrecher im Hause meiner Eltern fesselte meinen Vater, und unter seinen Augen vergewaltigte der Einbrecher meine Mutter. In dieser Nacht wurde ich empfangen. Alle rieten zu einer Abtreibung. Mein Adoptivvater aber verhinderte, daß ich getötet wurde. Ich weiß nicht, wie oft ich schon Gott für meinen wunderbaren Vater gedankt habe..." Außerdem erfährt man, daß durch Vergewaltigung verursachte Schwangerschaften schon allein deshalb äußerst selten seien, "weil sich die Frauen gegen eine Empfängnis sperren (Eileiterkrampf, negative Hormonwirkungen, unfruchtbare Tage)." Auch hier werden empirische Befunde weitgehend ignoriert. So gilt mittlerweile als gesichert, dass Frauen - relativ gesehen - durch Vergewaltigungen signifikant häufiger schwanger werden als durch normalen Routinesex. (7) Zudem ist die Behauptung, Frauen würden sich gegen Vergewaltigungen durch unfruchtbare Tage sperren, bei genauerer Betrachtung (seit wann sucht sich eine Frau den Tag ihrer Vergewaltigung aus?!) geradezu hanebüchen. Aber was soll man schon erwarten von Leuten, die glauben, ein Herzschlag sei bereits ein "schlagender Beweis für das Menschsein von Anfang an"?

Logisches Denken ist bekannterweise nicht unbedingt eine Stärke der christlichen LebensschützerInnen. Und so werden wir damit leben müssen, dass sie weiterhin ihre Stände in den Innenstädten aufbauen und pathetische Reden vor Bildern zerstückelter Embryonen halten. Doch soll man sich darüber wirklich aufregen? Ist ein Lebensschützer, dessen Sonntagsbraten mit Sicherheit dereinst über größeres Bewußtsein verfügte, als die Embryonen, für die er sich zeitlebens einsetzt, nicht ein fast schon liebenswertes Bild menschlicher Unzurechnungsfähigkeit?

Gewiß, doch sollte man bei der durchaus amüsanten Don Quichotterie der christlichen LebensschützerInnen nicht das Schicksal der vielen Frauen übersehen, die sich - und sei es nur unbewußt - von der christlichen Propaganda des "Menschen von Anfang an" fangen lassen und die in der Konsequenz den ohnehin nicht angenehmen Schwangerschaftsabbruch zusätzlich mit schrecklichen Gewissensbissen bezahlen müssen. Die seelischen Schaden, die AbtreibungsgegnerInnen auf solche Weise mit ihrem manipulierten Material anrichten, sind in der Tat kaum zu unterschätzen. Bei all dem gilt festzuhalten, dass die in unseren Breitengraden häufiger anzutreffenden psychopathogenen Schuldgefühle keine natürlichen Reaktionen auf Schwangerschaftsabbruch sind (8), sondern ausschließlich Folgeerscheinungen frauenverachtender Lebensschutz-Propaganda. Insofern ist das von Lebensschützern häufig benutzte Argument, Frauen sollten von einem Schwangerschaftsabbruch absehen, weil sie diesen eventuell mit schwerwiegenden psychischen Problemen zu bezahlen haben, nicht einmal falsch, - sondern einfach nur zynisch.

 

Anmerkungen:

1)"Etikettenschwindel und Heuchelei mache ich nicht mit" Erzbischof Johannes Dyba protestiert im WELT-Gespräch gegen "faule Kompromisse" (Welt, 9.8.99)

2) Prof. Schmid-Tannwald im Internet-Diskssuionsforum der Ärzte für das Leben (11.8. 1999)

3) http://www.catholic-church.org/ao/

4) Christa Meves: Täuschender Schein. In: Deutschland-Magazin 7/8 (1999).

5) vgl. hierzu und zum folgenden die KALEB-Homepage im Internet: http://www.cid-net.de/kaleb/index.html

6) Mitgliederstand Ende 1997

7) Zur evolutionären Erklärung dieses unangenehmen empirischen Sachverhalts vgl. u.a. Robin Baker: Krieg der Spermien. Bergisch-Gladbach 1999.

8) Dies belegen Studien zum seelisch unkomplizierten Verlauf von Schwangerschaftsabbrüchen bei Naturvölkern.

 


 

Abortrate vor und nach Einführung einer Fristenregelung

(auf 1000 im Land wohnhafte Frauen, 15-44jährig)

 

Land Vor der Einführung 1. Jahr nach der Einführung aktuellere Daten
Belgien 5.2 (1985) 4.8 (1992) 6.3 (1995)
Deutschland 8.7 (1990) 7.64 (1996) 7.65 (1997)
Niederlande 7.3 (1973) 5.1 (1985) 6.5 (1996)
Norwegen 18.2 (1973) 17.7 (1979) 15.5 (1996)

 Quelle: Schwangerschaftsabbruch-Infostelle http://www.svss-uspda.ch

 


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