Rezensionen zu Erkenntnis aus Engagement

 

Walter Spielmann in Pro Zukunft 3/99

 Das Gelingen einer ökologischen" (L.Brown) oder "globalen" Revolution hängt, wie u.a. King/Schneider in ihrem Bericht an den Club of Rome (19991) feststellten, davon ab, [inwiefern es gelingt], eine "weltweit allgemein geteilte Grundlage gemeinsamer oder miteinander verträglicher Werte" herauszubilden. Eurozentrisches Denken in der Abfolge von Prämoderne, Moderne und Postmoderne - dies zeigt M. Schmidt-Salomon im ersten Abschnitt dieser ambitionierten Arbeit (zuerst erschienen als von R. Schwendter und H. Seiler betreute Dissertation) - kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Denn jedes dieser Konzepte steht der Entwicklung einer zugleich einheitlichen und vielfältigen Weltkultur entgegen. So sei etwa die Postmoderne eine "Diktatur des Hier und Jetzt", die anstelle der notwendigen und radikal-utopischen Veränderung dem "Willen zur Ohnmacht" huldige.

Der Autor geht über eine fundierte Kritik der Gegenwart jedoch entschlossen hinaus: Seine "Theorie der Neomoderne" zielt darauf ab, "postmodernes Beliebigkeitsdenken zu überwinden, ohne dabei prämoderner oder moderner Dogmatik zu verfallen." Gegründet ist die explizit auf Zukunftsfähigkeit abzielende Neomoderne auf die auf M. N. Roy und Erich Fromm zurückgehende "Humanistische Basis-Setzung", der zufolge alle [auch zukünftige] Menschen frei und gleichberechtigt in ihrem Streben sind, ihre Vorstellungen von ,gutem Leben´ im Diesseits zu verwirklichen, sofern dadurch nicht die Interessen anderer in Mitleidenschaft gezogen werden..." Neomodernes Denken ist zudem "postreligiös", "posttraditional", "postnational" und "zukunftsbezogen, aber nicht gegenwartsblind."

Diese Kriterien erprobt Schmidt-Salomon in der Folge exemplarisch an Pädagogik (Teil 2) und Wissenschaft (Teil 3), wobei im Durchlauf mehrerer "Reflexe und Reflexionen" zu neokonservativer, emanzipatorischer und moderner Pädagogik die Konturen einer Bildung/Erziehung "jenseits von Befreiung und Bevormundung" entwickelt werden.

Die Notwendigkeit zur Wertefreiheit entledigt, sieht Schmidt-Salomon wissenschaftliches Interesse vor allem geleitet vom "Willen zur Erkenntnis aus Engagement". Eine von Partikularismus, Hierarchie und Bevormundung befreite, demokratisch legitimierte Wissenschaft sieht der Autor in der Lage, den "Teufelskreis der Zerstörung" zu durchbrechen und durch die "Spezialisierung auf den Zusammenhang" eine "zukunftsfähige Problemlösungsstrategie" zu entwickeln.

Eine im besten Sinne ehrgeizige, richtungsweisende Arbeit. Indem Schmidt-Salomon den "Willen zur Utopie, zur Realisation des eigentlich Unmöglichen" einfordert und selbst in dieser Richtung Akzente setzt, leistet er einen wichtigen Beitrag zur Wiedererlangung von Zukunftsfähigkeit. Dem trotz der Komplexität des Gegenstandes lebendig und nachvollziehbar formulierten Text ist breite Aufmerksamkeit zu wünschen, gerade auch weil sich über manches Detail trefflich streiten läßt.

 

 Joachim Götz in Aufklärung und Kritik 2/99

"Erkenntnis aus Engagement": Mit diesem vielversprechenden Buchtitel meldet sich ein vielversprechender, junger Autor zu Wort: Dr. Michael Schmidt-Salomon, Jahrgang 1967, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier und Redakteur der Zeitschrift MIZ.

Das ausführliche, vorzüglich gegliederte Inhaltsverzeichnis seines Buches lädt förmlich dazu ein, sich vorab - je nach Interessenlage - einige "Rosinen" herauszupicken, wobei man unwillkürlich ins Schmökern gerät: z.B. in dem rundum gelungenen, aufs Wesentliche zielenden Exkurs " 'Projekt Weltethos' oder das Elend der humanistischen Theologie"; großartig die Gedanken in "Autonome Humanität statt abstrakter Freiheit: Der notwendige Abschied von der Idee der Willensfreiheit". Amüsement, aber auch Genugtuung löst ein "Kurzer Exkurs zur Sprach-Gewalt: Wissenschaftssprache als Perversion der Aufklärung " aus...usw.

Der Autor hat Wichtiges, Wesentliches, teilweise Erschütterndes vorzutragen; aber das macht er nicht bierernst, sondern immer in flüssigem, anschaulichem, nicht selten auch saloppem Stil. Klare, einfache Skizzen erläutern seine Gedankengänge.

Im ersten Teil seines Buches beschreibt er die Begriffe Prämoderne, Moderne, Postmoderne und entwickelt dann seine Theorie der Neomoderne im Sinne eines radikalen Humanismus. Es ist ihm wichtig klarzustellen, daß dieses neomoderne Denken offen zugibt, auf einem willkürlich festgelegten, moralischen Axiom zu gründen.Diese einzige, komplexe, axiomatische Setzung, auf der seine neomoderne Position beruht, bezeichnet er als "Humanistische Basissetzung (HBS)". Sie sei, weil sie den Kern des Buches bildet, hier vollständig zitiert: "Alle Menschen (ungeachtet welcher Gruppe sie angehören - auch die kommenden Generationen werden hier mit einbezogen!) sind gleichberechtigt und frei in ihrem Streben, ihre individuellen Vorstellungen vom guten Leben im Diesseits zu verwirklichen, sofern dadurch nicht die gleichberechtigten Interessen anderer in Mitleidenschaft gezogen werden, und es ist die unaufkündbare Aufgabe eines jeden Menschen, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizutragen, daß möglichst wenigen (im Idealfall: niemandem) die Inanspruchnahme dieses fundamentalen Rechts versagt bleibt."Um diese - von der Idee her zunächst keineswegs originelle - HBS von postmoderner Beliebigkeit scharf abzugrenzen, werden sogleich vier zentrale Eckpfeiler genannt und beschrieben: Neomoderne im Sinne der HBS ist postreligiös, postnational, posttraditional, zukunftsbezogen, aber nicht gegenwartsblind. "Posttraditional" z.B. bedeutet , daß das Verschwinden inhumaner Traditionen erwünscht, ihre Erhaltung abzulehnen ist. Für die Neomoderne ist der Mensch das Maß der Dinge, nicht die Tradition.

Im zweiten Teil des Buches: "An der Schwelle zum 3.Jahrtausend: (Prä-)moderne Regression, postmoderne Auflösung oder neomoderne Rekonstruktion der Pädagogik?" erfolgt zunächst eine Abrechnung mit prämoderner Pädagogik, etwa mit der christlich-fundamentalistischen Pädagogik des Opus Dei; auch der "neokonservative Postmodernismusreflex" ist den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen. In seiner Bestandsaufnahme setzt sich der Autor außerdem mit der modernen, emanzipatorischen Pädagogik kritisch auseinander und widmet sich dann "der postmodernen Auflösung der Pädagogik", wie er es nennt.

Und wie sieht das neomoderne Konzept Schmidt-Salomons aus? "Neomoderne Pädagogik zielt darauf ab, die Prozesse Bildung und Erziehung so zu formen, daß sie möglichst effektiv dazu beitragen können, ' alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist' ". Dieser Grundsatz wird dann konsequenterweise an den zentralen Eckpfeilern der HBS erläutert. In den sich anschließenden Kapiteln hinterfragt der Autor kritisch die Grundaxiome neuzeitlicher Pädagogik und hebt sie in seinem, also im neomodernen Sinne auf.

Nun zum dritten Teil des Buches: "Wider den Willen zur Ohnmacht: Das Projekt einer neomodernen, humanistisch engagierten Wissenschaft". Schon im zweiten Teil kündigt sich der relativistisch-konstruktivistische Standpunkt des Autors an, wenn er meint: "...erkenntnistheoretisch können wir in der Tat nicht entscheiden, ob 'an sich' die Existenz von Elektronen wahrscheinlicher ist als die Existenz von Engeln, Marsmännchen oder Osterhasen." Das klingt zumindest mißverständlich, wenn man bedenkt, daß sich in der modernen Technik bis in unseren Alltag hinein die Existenz von Elektronen hochbewährt hat, während die "Existenz" von Engeln, Marsmännchen und Osterhasen allenfalls im Rahmen religiöser Vorstellungen, auf Witzseiten bzw. in der Schokoladenindustrie ihre "Bedeutung" hat. Hier setzt sich Schmidt-Salomon ohne Not dem Verdacht aus, die postmoderne Beliebigkeit, die er zu Recht kritisiert, selbst nicht überwunden zu haben. Er wirft selbst die Frage auf, ob der Konstruktivismus in einigen Bereichen der Naturwissenschaft als unnötige Haarspalterei erscheinen mag, hält ihn aber "für eine ausgereifte Wissenschaftstheorie unabdingbar".

Zur Wertfreiheit der Wissenschaft meint er, auf den Titel seines Buches Bezug nehmend: "Das jeweilige moralische Engagement determiniert stets die jeweilige wissenschaftliche Erkenntnis." Schonungslos greift er im folgenden, ganz im Sinne der HBS, die autoritären Strukturen des Wissenschaftsbetriebs an. Ferner wirft er den Intellektuellen "Expertokratie statt Demokratie" vor. Sehr zu Recht betont er, daß wahre Bildung sich auch in einer verständlichen Ausdrucksweise zeigen muß. Verständlichkeit der Gedankengänge und Formulierungen ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß eine human engagierte Wissenschaft in einer zweiten Welle der Aufklärung die Menschen über ihren drohenden Untergang informiert. Dem postmodernen Willen zur Ohnmacht darf nicht gefolgt werden. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, über die Dummheit demokratischer Mehrheitsentscheidungen aufzuklären, wenn es um Auswege aus der ökologischen Katastrophe geht. Im Sinne seines Buch-Mottos: "Seien wir realistisch: Versuchen wir das Unmögliche..." zeigt Schmidt Salomon zum Schluß noch "Zentrale Elemente einer zukunftsfähigen Problemlösungsstrategie" auf.

"Erkenntnis aus Engagement"! Dem Buch Schmidt-Salomons ist eine breite Leserschaft und - ganz im Einklang mit den Intentionen des Autors - eine breite, auch kontroverse Diskussion zu wünschen.

 


Sie haben "Erkenntnis aus Engagement" gelesen und wollen selbst eine Rezension beisteuern?
Nichts einfacher als das:
Senden Sie Ihren Text als Mail an den Autor M.S.Salomon@t-online.de.
Die Rezension wird umgehend auf dieser Seite veröffentlicht.


  home.gif (20220 Byte)