Glossar:
Die historischen Personen des Romans
(Leben, Werk, Bedeutung, postmortales Schicksal)

Adorno, Theodor W. (1903-1969): dt. Philosoph und Soziologe, neben Max Horkheimer einer der Hauptvertreter der sog. “Kritischen Theorie”. In der Annahme, dass es “kein richtiges Leben im falschen” gibt, forderte A. vom Intellektuellen “unverbrüchliche Einsamkeit” als letzte Gestalt der Solidarität mit den Entrechteten. Jeder Schritt hin zu bürgerlichen Freuden sei “einer zur Verhärtung des Leidens”. Folglich fürchtete der unverbesserliche Kulturpessimist, nach jedem Besuch des Kinos “bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter” herauszukommen. Obwohl sich A. nur wenig mit theologischen Fragestellungen beschäftigte, dürfte seine Forderung nach “äußerster Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber” sowie seine intensive Auseinandersetzung mit Freud und Marx dazu geführt haben, dass er in Stollbergs Inferno in den Ring der Todsünder verbannt wurde. Wegen seiner pessimistischen, negativ-dialektischen Weltanschauung bezeichnet Jan Stollberg ihn als “philosophischen Punk mit aristokratischer Diktion”.
Hauptwerke: Dialektik der Aufklärung (mit Horkheimer); Philosophie der neuen Musik; Studien zum autoritären Charakter; Minima Moralia; Negative Dialektik; Die musikalischen Monographien; Noten zur Literatur; Eingriffe; Stichworte

Baha’u’llah (eigentlich: Mizra Husain Ali Nuri) (1817-1892): Religionsstifter, lehrte einen transzendenten Gott, der sich in Propheten wie Zarathustra, Jesus, Mohammed usw. manifestierte. B. verhieß ein Zeitalter des Friedens, in dem die gegenseitige Liebe aller Menschen ohne Ansehen von Geschlecht, Rasse und Nation vorherrschen sollte. In Stollbergs Inferno gehört er zum Kreis der Dissidenten, die den ewigen Krieg der Weltreligionen im 5. Ring beenden wollen. Mit diesem ehrenvollen Anliegen scheitert er hier jedoch genauso wie zu seinen Lebzeiten.

Bakunin, Michail Alexandrowitsch (1814 -1876): russ. Anarchist und Revolutionär, an zahlreichen Aufständen beteiligt, mehrfach inhaftiert, politischer Mitstreiter, aber auch Gegenspieler von Marx. Bakunins Kampf richtete sich gegen sämtliche Formen von Herrschaft – und deshalb konsequenterweise auch gegen die Vorstellung eines allmächtigen Gottes. In Stollbergs Inferno zählt er zur treibenden Avantgarde der Todsünder. Sein Bonmot: “Wenn Gott wirklich existierte, müsste man ihn beseitigen!” wird hier zum Programm. Hauptwerke: Gott und der Staat; Staatlichkeit und Anarchie; Russische Zustände; Die Reaktion in Deutschland.

Bloch, Ernst (1885 -1977): dt. Philosoph, verstand (in der Nachfolge von Hegel und Marx) Geschichte als dialektisch vermittelten, auf das sog. “Reich der Freiheit” ausgerichteten Prozess. B. avancierte nach seiner mehr oder weniger unfreiwilligen Übersiedlung aus der DDR zu einem der Lieblingsphilosophen der “Neuen Linken”. Obgleich sich viele “progressive” Theologen das “Prinzip Hoffnung” auf ihre Fahnen schrieben, war B. ein bekennender, marxistischer Atheist. Da er den Pessimismus als eine zutiefst unmoralische Geisteshaltung verstand, kann B. auch postmortal den Kampf nicht aufgeben. Das Projekt des “aufrechten Gang” ist für ihn unkündbar – auch unter den scheinbar aussichtslosen Bedingungen der Vorhölle. Hauptwerke: Geist der Utopie; Thomas Münzer als Theologe der Revolution; Das Prinzip Hoffnung; Atheismus im Christentum.

Brecht, Bert(olt) (1898-1956): dt. Schriftsteller und Regisseur, begann seine Karriere mit expressionistisch-anarchistischen Dramen (“Baal”, “Trommeln in der Nacht”, “Mann ist Mann”) und feierte seinen ersten großen Erfolg 1928 mit der “Dreigroschenoper”. Nach intensiver Beschäftigung mit der marxistischen Theorie verfasste er die sog. “Lehrstücke” (u.a. “Die Maßnahme”). Im Exil entstanden seine bekanntesten Bühnenstücke, darunter u.a.: “Mutter Courage und ihre Kinder”, “Herr Puntila und sein Knecht Matti” “Der gute Mensch von Sezuan” und “Leben des Galilei”. Neben seinen Stücken ist vor allem Brechts Lyrik (“Hauspostille”, “Svendborger Gedichte”) von bleibender Bedeutung. Dass der “arme B.B.” weder in der Vorhölle der Todsünder noch in der Hölle der Wollüstigen (wie Elli Baumgart und Jan Stollberg vermuten) gelandet ist, verdankt er seinem schlitzohrigen Verhandlungsgeschick, das er schon zu Lebzeiten in den Verhören vor dem “McCarthy-Ausschuss für unamerikanische Umtriebe” eindrucksvoll unter Beweis stellte.

Buddha (eigentlich: Siddhartha Gautama) (ca. 560-480 v.u.Z.): ind. Religionsstifter. Der Legende nach wuchs B. als Sohn eines nepalesischen Fürsten in Luxus auf und verließ mit 29 Jahren seine Heimat, um den Sinn des Lebens zu erkunden. Nachdem er sieben Jahre vergeblich versucht hatte, mittels Askese zur “Erleuchtung” zu gelangen, entwickelte er die Idee des sog. “Mittleren Pfads”, eine Lebenshaltung meditativen Gleichmuts, mit deren Hilfe B. den vermeintlich “ewigen Kreislauf des Leidens” (Karma- und Reinkarnationslehre) zu überwinden hoffte. Gegenüber dem damals vorherrschenden brahmanischen Denk- und Herrschaftssystem stellte B. heraus, dass allein der individuelle Lebenswandel – nicht die Geburt in einen bestimmten Stand! – der Maßstab zur Bewertung eines Menschen sein müsse. Er proklamierte eine Lehre, die entgegen brahmanischen Standesdünkel alle Menschen prinzipiell ethisch gleichsetzte (freilich ohne hieraus politische Forderungen abzuleiten). Diese ursprüngliche buddhistische Lehre kam ohne religiöse Hierarchien aus. In ihrem Zentrum stand das Individuum, das seinen Weg zur Überwindung des Leidens mit Hilfe der buddhistischen Lebenstechniken selbst finden musste. Dies änderte sich jedoch bald nach Buddhas Tod, als die buddhistischen Gemeinden neue Organisationsformen wählten und sich durch die Integration fremder religiöser Kulte mehr und mehr von der buddhistischen Ursprungsidee entfernten. In Stollbergs Inferno gehört B. zum Kreis der Dissidenten, die sich im 5. Ring vergeblich um eine friedliche Koexistenz der Religionen bemühen.

Camus, Albert (1913-1960): frz. Schriftsteller und Philosoph, Nobelpreisträger für Literatur, sah den Sinn des Lebens in der Revolte gegen die “Absurdität” der menschlichen Existenz. Scharf wandte er sich gegen jegliche Form des Despotismus, wodurch er in einen Konflikt mit seinem langjährigen Weggefährten Jean-Paul Sartre geriet, der zeitweilig mit den Kommunisten sympathisierte. C. ist die erste historische Persönlichkeit, der Stollberg in seinem Jenseits-Abenteuer begegnet. Dass ausgerechnet er zu Stollbergs permanentem Begleiter wird, ist beileibe kein Zufall, denn Camus’ philosophisches Hauptanliegen, der Kampf mit dem Absurden, dem in letzter Instanz vergeblichen Versuch, der menschlichen Existenz dauerhaften Sinn zu geben, ist (jenseits aller Religionskritik) das eigentliche Thema des Romans.Hauptwerke: Der Fremde; Die Pest; Der Fall; Der glückliche Tod; Der Mythos des Sisyphos; Der Mensch in der Revolte.

Beauvoir, Simone de (1908-1986): frz. Schriftstellerin, Mitstreiterin und Lebensgefährtin von J.P. Sartre, eine der Hauptvertreterinnen des frz. Existentialismus. B. engagierte sich stark in sozialen und politischen Fragestellungen und avancierte zu einer der wichtigsten Theoretikerinnen der internationalen Frauenbewegung. Aufgrund ihrer materialistischen und atheistischen Weltanschauung wird sie in Stollbergs Inferno in den Ring der Todsünderinnen verbannt. Hauptwerke: Das andere Geschlecht; Die Mandarins von Paris; Memoiren einer Tochter aus gutem Hause; In den besten Jahren; Der Lauf der Dinge; Alles in allem; Die Zeremonie des Abschieds.

Darwin, Charles (1809-1882): brit. Naturwissenschaftler (Zoologie, Geologie, Anthropologie etc.), Begründer der modernen Evolutionstheorie. D. revolutionierte das Welt- und Selbstbild des Menschen wie kaum ein anderer Wissenschaftler oder Philosoph. Seine Darlegungen zum Wechselspiel von Mutation und Selektion führten nicht nur zum größten Paradigmenwechsel in der Geschichte der Biologie und Anthropologie, sondern wurden auch auf viele andere Wissensgebiete (u.a. Ökonomie, Soziologie, Medizin, Ästhetik, Erkenntnistheorie) fruchtbar übertragen. Nicht zuletzt trug Darwins Theorie zur radikalen Entzauberung und Erschütterung der religiösen Wirklichkeitsentwürfe bei. D. selber waren die enorm weitreichenden Konsequenzen seiner Theorie frühzeitig bewusst. Aber er schreckte (auch aus Rücksicht gegenüber seiner im traditionellen Glauben verhafteten Gattin) lange Zeit davor zurück, diese auch öffentlich zu formulieren. So erschien seine Arbeit über die “Abstammung des Menschen” erst rund 40 Jahre nach seiner berühmten Weltreise auf der “Beagle” und immerhin 12 Jahre, nachdem er in dem Grundlagenwerk “Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl” bereits die allgemeinen Prinzipien der Evolution dargelegt hatte. Im Unterschied zu seinem wohl wichtigsten Mitstreiter Ernst Haeckel trug D. seine revolutionären Erkenntnisse in einem äußerst moderaten Ton vor und versuchte tunlichst, weltanschaulichen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Wahrscheinlich ist dies der Hauptgrund dafür, dass D. in Stollbergs Inferno nicht in die Vorhölle der Todsünder verbannt wurde, wo man ihn angesichts seiner großen Leistung für das Projekt der Aufklärung eigentlich hätte erwarten dürfen. Hauptwerke: Reise um die Welt; Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl; Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation; Die Abstammung des Menschen; Über den Ausdruck der Gemütsbewegung bei Menschen und Tieren.

Demuth, Helene (1820-1890): Haushälterin, Freundin und Mitstreiterin der Familie Marx, hatte ein heimliches Verhältnis mit dem Hausherrn, aus dem der Sohn Frederick “Freddy” Demuth hervorging. Um die Ehe zwischen Marx und Jenny nicht zu gefährden, gab Friedrich Engels vor, der Vater des Kindes zu sein. D. stand der Familie Marx stets treu zur Seite. Auch in Stollbergs Inferno taucht sie an der Seite von Jenny Marx auf.

Eichmann, Karl Adolf (1906-1962): SS-Obersturmbannführer, leitete das “Judenreferat” im Reichssicherheitshauptamt und organisierte die Transporte in die NS-Vernichtungslager. 1945 entkam er nach Argentinien, wurde dort 1960 vom israelischen Geheimdienst entdeckt, nach Jerusalem entführt und am Ende eines Aufsehen erregenden Prozesses zum Tode verurteilt. In Stollbergs Inferno hat sich E. vom Nazischergen zum Gottesschergen gewandelt und wird aufgrund seines Organisationstalents für die Neuorganisation des Vorhöllensystems eingesetzt.

Epikur (341-271): griech. Philosoph, verstand Philosophie als Instrument der Daseinsbewältigung. Ziel seiner radikal diesseitigen Philosophie war das gelingende, das glückselige Leben. Unter dem Einfluss des Christentums avancierte der Begriff “Epikuräer” zu einem Schimpfwort. Dabei verfestigte sich die Fehleinschätzung, E. habe einer ungezügelten Sinneslust das Wort geredet. In Wirklichkeit aber war E. davon überzeugt, dass Glückseligkeit nur durch eine weise Abwägung des Genusses, durch Selbstbeherrschung, wahre Erkenntnis und Gerechtigkeit erreichbar sei. Die in vieler Hinsicht bis heute aktuell gebliebene Philosophie des E. wurde nur bruchstückhaft durch seine Schüler übermittelt. In Stollbergs Inferno schildert Ludwig Feuerbach das traurige Schicksal des Philosophen, der nach Eintritt des “neuen Bundes” zunächst die Glückseligkeit des Himmels erfahren durfte, dann aber doch in die ewigen Flammen geschickt wurde, weil er das Leiden der Verdammten nicht ohne Widerspruch tolerieren konnte.

Escrivá, Josemaría (1902-1975): Gründer des “Opus Dei”, Marienverehrer und unumstrittener Großmeister der Selbstgeißelung, weshalb er von der katholischen Kirche in Rekordgeschwindigkeit erst selig (1992) und dann heilig (2002) gesprochen wurde. Überzeugt davon, dass es nur einen Weg zum Seelenheil gibt, forderte E. zur vollständigen “Christianisierung aller Völker und Institutionen” auf. Sollte es mit der freiwilligen Missionierung nicht so recht klappen, empfahl er die Anwendung des “heiligen Zwangs” (was das “Werk Gottes” beispielsweise unter der Diktatur des “guten Katholiken” Franco fleißig umstetzte). Jesus zu folgen, bedeutete für E., nicht nur bedingungslos zu glauben, sondern wie der Heiland am Kreuz heroisch Schmerzen zu ertragen und den (sinnlichen) Verführungen des Teufels zu widerstehen. In seinem Hauptwerk “Der Weg” heißt es hierzu: “Ich nenne dir die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde, damit du sie dir nicht entgehen lässt: Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit, Verrat, Verleumdung, Gefängnis. (...) Gesegnet sei der Schmerz. – Geliebt sei der Schmerz. – Geheiligt sei der Schmerz. (...) Verherrlicht sei der Schmerz!” Als Lohn für sein schmerzerfülltes Leben hoffte E., postmortal zu Füßen des Allmächtigen sitzen zu dürfen. Im Roman erfahren wir, dass dieser große Lebenstraum Escrivás im Jenseits tatsächlich Erfüllung fand. Stollberg und seine Freunde treffen den überglücklichen E. im Thronsaal Gottes, wo er seiner glühenden Verehrung gegenüber der heiligen Jungfrau in aller gebotenen Demut Ausdruck verleiht. Hauptwerk: Der Weg.

Feuerbach, Ludwig (1804-1872): Philosoph und Religionskritiker, musste wegen christentumskritischer Arbeiten die akademische Laufbahn frühzeitig aufgeben. Feuerbachs Philosophie, die den abstrakt-idealistischen Hegelianismus in einen sinnlichen Materialismus überführte, hatte großen Einfluss u.a. auf die Philosophie des Marxismus. Seine Beiträge zu Anthropologie und Religionskritik haben bis heute wenig von ihrer Aktualität eingebüßt. F. wollte an die Stelle der “illusionären, religiösen Brücke zur Gattung” eine echte, sinnliche Verbindung setzen. Da der Umweg über Gott nicht mehr notwendig war, formulierte er die Grundsätze einer säkularen Religion, einer Religion der umfassenden Menschenliebe, die in vielerlei Hinsicht die Gedanken humanistischer Autoren des 20. Jahrhunderts vorwegnahm. Dass F. in Stollbergs Inferno in den Ring der Todsünder verbannt wird und auch dort – trotz aller Anfeindungen – mutig seinen Mann steht, wird niemanden verwundern, der sich mit Feuerbachs Leben und Werk beschäftigt hat. Hauptwerke: Das Wesen des Christentums; Grundsätze der Philosophie der Zukunft; Vorlesungen über das Wesen der Religion.

Freud, Sigmund (1856-1939): österr. Nervenarzt und Begründer der Psychoanalyse. F. revolutionierte die Psychologie durch die Entdeckung des Unbewussten und die Entwicklung des dynamischen Charakterbegriffs. Nach F. wird der Mensch über weite Teile von Trieben gesteuert. Dabei nahm F. die Libido als Haupttrieb des menschlichen Verhaltens an. Später erweiterte er dieses Modell, indem er dem Sexualtrieb den Todes- oder Destruktionstrieb entgegensetzte, ein Konzept, das in der Folge heftig angegriffen wurde (u.a. von Erich Fromm). Als Vertreter der Aufklärung verfolgte F. das Ziel, die Ansprüche des “Es” und des “Über-Ich” durch den psychoanalytischen Reflexionsprozess bewusst zu machen und dadurch das “Ich” zu stärken. F., ein ungeheuer fruchtbarer Denker, der sich mit ethnologischen, mythologischen und religionswissenschaftlichen Fragestellungen ebenso beschäftigte wie mit soziologischen oder ästhetischen Problemen, hatte großen Einfluss auf Philosophie, Literatur und Kunst. Seine Religionskritik trug wesentlich zur psychologischen Entzauberung der Religionen bei – auch wenn Teile seiner anthropologischen Konzeption sowie seine therapeutische Behandlungsmethode im Allgemeinen heute zu Recht einer scharfen Kritik unterworfen sind… Im Zuge der Neustrukturierung der Vorhöllen soll, wie Camus im Roman berichtet, eine Vorhölle eigens für Psychoanalytiker eingerichtet worden sein – angesichts der verschiedenen, heftig sich befehdenden psychoanalytischen Schulen sicherlich die Höchststrafe für Freud. Der wusste zwar, dass “der Mensch nicht einmal Herr im eigenen Haus” ist, dass er aber selbst nicht einmal Herr im psychoanalytischen Haus sein durfte, traf ihn schwer… Hauptwerke: Die Traumdeutung; Zur Psychopathologie des Alltagslebens; Totem und Tabu; Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse; Jenseits des Lustprinzips; Massenpsychologie und Ich-Analyse; Das Ich und das Es; Das Unbehagen in der Kultur.

Fromm, Erich (1900-1980): Neo-Psychoanalytiker, Soziologe und Philosoph, revidierte das Freudsche Triebmodell und entwickelte unter Rückgriff auf Marx eine eigenständige humanistische Anthropologie und Gesellschaftstheorie, die großen Einfluss auf die internationale Friedens- und Bürgerrechtsbewegung hatte. Ins Licht der Öffentlichkeit trat F. erstmalig durch seine Mitarbeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung, das anfangs stark von Fromms freudomarxistischen Ideen geprägt war (siehe die “Studien über Autorität und Familie”). Nach der Emigration nach Amerika wuchs (auch aufgrund des zunehmend stärker werdenden Einflusses von Adorno) die Distanz zu den ehemaligen Kollegen. F. ging eigene Wege – auch in der Religionskritik. Ursprünglich von einem orthodoxen jüdischen Elternhaus geprägt (es kursierte das Sprichwort: “Mach mich wie den Erich Fromm, dass ich in den Himmel komm”), wurde Fromms Denken im Zuge seiner theoretischen Entwicklung immer säkularer. Er verstand sich als dezidierten Nicht-Theisten, hatte jedoch ein Faible für den Mystiker Meister Eckart und die alttestamentlichen Propheten, die er säkular umdeutete und in sein Konzept eines diesseitigen Messianismus integrierte. Dass er in Stollbergs Inferno im Ring der Todsünder landete und nicht in die Vorhölle der Psychoanalytiker verbannt wurde, ist der Tatsache zuzuschreiben, dass F. stärker von Marx als von Freud beeinflusst war und für radikale sozio-ökonomische Veränderungen eintrat. Sein postmortales Schicksal mag vielleicht einige erstaunen, die den Bestsellerautor Fromm bisher nur als “rosaroten Philosophen der Liebe” wahrgenommen haben. Aber der Mann hat sich seinen Stammplatz in der Vorhölle der Todsünder redlich verdient…Hauptwerke: Die Furcht vor der Freiheit; Die Kunst des Liebens; Wege aus einer kranken Gesellschaft; Jenseits der Illusionen; Revolution der Hoffnung; Anatomie der menschlichen Destruktivität; Haben oder Sein.

Gandhi, Mohandas, genannt Mahatma (Sanskrit: “dessen Seele groß ist”) (1869-1948): Rechtsanwalt und Führer der ind. Unabhängigkeitsbewegung, entwickelte das Konzept des gewaltlosen Widerstandes und setzte es erfolgreich gegen die brit. Herrschaft in Indien ein. Gandhi hatte entscheidenden Anteil an der Unabhängigkeit Indiens, konnte aber die blutigen Kämpfe zwischen Hindus und Moslems nicht verhindern. Auch blieb es ihm versagt, die Hindus von der Rückständigkeit des Kastendenkens zu überzeugen. Mehr oder weniger folgerichtig wurde der zunehmend säkularer denkende G. 1948 von einem fundamentalistischen Hindu erschossen… In Stollbergs Inferno gehört G. zu den Dissidenten des 5. Rings. Dort hat G., der über viele Jahre streng asketisch, den religiösen Vorstellungen des Hinduismus entsprechend gelebt hatte, den letzten Rest religiöser Traditionen abgeworfen. Wenn er nochmals die Erde betreten könnte, verrät er dem verdutzten Stollberg, würde er sich ein saftiges argentinisches Rindersteak genehmigen…

Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832): Dichter, Philosoph, Naturwissenschaftler, Zeichner, Minister etc., Hauptrepräsentant des “Sturm und Drang” sowie später (mit Schiller) der “Weimarer Klassik”. Goethes Leben und Werk in wenigen Zeilen auch nur annähernd zu umreißen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, deshalb soll es hier auch nicht versucht werden. Sein Verhältnis zur Religion war ambivalent, reicht vom trotzigen Aufbegehren des “Prometheus” bis zur unkritischen Hingabe des “Ganymed”. Sein freigeistiges Bonmot “Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion. Wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion!” hätte durchaus das kritische Potential, den Dichterfürsten zum Todsünder abzustempeln. Aber G., gleichermaßen Schöpfer des genialen Mephistopheles aus Faust 1 als auch der “heiligen Langweile” von Faust 2, war stets anpassungsfähig genug, um unangenehmen Konfrontationen rechtzeitig zu entgehen. So verwundert es nicht, dass er postmortal die grenzdebilen Worte zum Choral “Der liebe Jesus liebt dich…” beisteuerte.

Gogh, Vincent van (1853-1890): niederländ. Maler, einer der Hauptvertreter des Impressionismus (in späteren Werken bereits den Expressionismus vorwegnehmend). G. erhielt in den Jahren 1886-88 wichtige Impulse durch die Pariser Impressionisten, siedelte dann nach Arles um, wo er gemeinsam mit Gauguin eine Künstlerkolonie gründen wollte. Kurze Zeit später jedoch erfolgte van Goghs Zusammenbruch. Nach der Selbstverstümmelung seines Ohres und wiederholten Anfällen ging van G. 1889 in die Heilanstalt von Saint-Rémy-de-Provence, wo einige seiner ausdrucksstärksten Gemälde entstanden. 1890 nahm sich der (wie man heute vermutet) von starken Innenohrschmerzen geplagte Pfarrerssohn und frühere Laienprediger das Leben, was seine Chancen, postmortal in den Himmel zu gelangen, dramatisch verschlechterte. Nach Auskunft des Kommandanten Görlitz gehört G. zu den Malern, die im vierten Ring dazu verdammt sind, kitschige Madonnenbilder zu malen.

Gollwitzer, Helmut (1908-1993): evangelischer Theologe, versuchte Christentum und Marxismus miteinander zu verbinden. Gollwitzers Leben war ein Leben des aufrechten Gangs. Er leistete nicht nur in der NS-Zeit Widerstand, sondern engagierte sich in den 1960er-Jahren stark für die Anliegen der Studentenbewegung (hielt u.a. auch die Grabreden für Dutschke und Meinhof). Schon ab den 50ern war das “Gewissen der Nation” (ein Ehrentitel, den er sich mit Heinrich Böll teilte) in der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung aktiv. In Stollbergs Inferno gehört G. zu den Gläubigen, die Gottes Endlösungspolitik nicht hinnehmen wollen, aber dennoch so stark im Glauben verhaftet sind, dass sie sich nicht dazu durchringen können, Gott entschieden die Stirn zu bieten. Hauptwerke: ... und führen, wohin du nicht willst; Die marxistische Religionskritik und der christliche Glaube; Israel – und wir; Der Christ und die Atomwaffen; Krummes Holz – aufrechter Gang.

Gora (eigentlich: Goparaju Ramachandra Rao) (1902-1975): indischer Sozialreformer und praktischer Atheist, gründete mit dem “Atheist Centre” in Vijayawada ein weltweit anerkanntes, humanistisches Zentrum, das auch heute noch wertvolle Sozial- und Aufklärungsarbeit in Indien leistet. Als Mitglied einer ranghohen brahmanischen Familie geboren, beschäftigte sich G. bereits in frühen Jahren mit Philosophie und Naturwissenschaft. Diese Studien ließen ihn den Aberglauben der Massen, die Ungerechtigkeit des Kastensystems und die Chancenlosigkeit der Unberührbaren erkennen. Fortan kämpfte er entschieden für eine Säkularisierung der indischen Gesellschaft. Immer wieder forderte G. die Menschen auf, Tabus zu brechen, um Vorurteile und Schranken abzubauen. Aus diesem Grund heirateten seine eigenen Kinder Unberührbare, was im damaligen Indien eine ungeheure Provokation war – und auch heute noch für die meisten brahmanischen Familien undenkbar wäre. In Stollbergs Inferno trifft G. seinen alten Freund Mahatma Gandhi wieder, der in den 1940er Jahren von Goras Mut und Erfolgen sehr beeindruckt war, auch wenn es niemals zu jenem “massenhaften Konvertieren hin zur Menschlichkeit" gekommen ist, von dem sich G. eine zukunftsfähige Lösung der weltanschaulichen Konflikte Indiens sowie der Weltgesellschaft erhoffte. Hauptwerke: Positive Atheism; We become Atheists.

Grosz, George (1893-1959): Maler, Grafiker, Karikaturist, Mitbegründer der Berliner Dada-Gruppe, prangerte in seinen Werken die sozialen Missstände der Weimarer Republik an und verspottete Bürgertum, Kirche, Kapitalismus und Militarismus. Dadurch geriet G. mehrfach in die Mühlen der Justiz (u.a. wurde der Blasphemievorwurf gegen seine Zeichnung “Jesus mit Gasmaske” erhoben). Seine Werke galten in der Nazizeit als “entartete Kunst”. Kommandant Görlitz vermutet in Stollbergs Inferno, dass G. nach peinlicher Befragung und Umerziehung durch die Inquisitoren Madonnenbilder malt. Stollberg nimmt das ungläubig zur Kenntnis.

Haeckel, Ernst (1834-1919): Zoologe, Evolutionstheoretiker und Philosoph, streitbarer Verfechter der Evolutionstheorie, sorgte für eine enorme Popularisierung der Abstammungslehre Darwins. Im Unterschied zu Darwin griff H. die Religion frontal an und entwickelte die Grundlagen für eine den evolutionären Erkenntnissen entsprechende Kultur. Die emanzipatorische Kraft seines Werkes wurde empfindlich getrübt durch seine Ausführungen zur Rassenlehre, die dem späteren Missbrauch des darwinistischen Gedankenguts (vor allem in der NS-Zeit) Vorschub leistete. In Stollbergs Inferno führt der Todsünder H. den Neuankömmling Stollberg in die Grundlagen der postmortalen Biologie ein. Hauptwerke: Die Welträtsel; Die Lebenswunder; Natürliche Schöpfungs-Geschichte.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831): Philosoph, studierte am Tübinger Stift mit Hölderlin und Schelling, war außerordentl. Prof. in Jena, danach Ordinarius in Heidelberg und ab 1818 Fichtes Nachfolger in Berlin. H. zufolge fußt die Entwicklung der Vernunft (und damit auch die Entwicklung der menschlichen Geschichte) in einer permanenten Abfolge von Widersprüchen, die überwunden werden müssen und so für steten Fortschritt sorgen. Grundlegend für diesen Prozess ist die sog. “dialektische Triade” von These, Antithese und Synthese. Da nach H. alles Vernünftige wirklich und alles Wirkliche vernünftig ist, fällt die Entwicklung der Wirklichkeit mit der Entwicklung der Vernunft zusammen. So verfügt jede Zeit über den Grad an Wahrheit, der ihr entspricht. Da H. all dies erkannt und auf den Begriff gebracht zu haben glaubt, wähnt er sich nicht nur auf der Höhe des geschichtlichen Wahrheitsentfaltungsprozesses, er glaubt auch, das endgültige philosophische System geschaffen zu haben, in dem alle Widersprüche aufgehoben und aufs Trefflichste miteinander versöhnt sind. Obwohl Hegels Philosophie die Saat für die scharfe Religionskritik der sog. “Linkshegelianer” (beispielsweise Bruno Bauer oder Ludwig Feuerbach) lieferte, hat er selbst die Bezeichnung “Atheist” energisch zurückgewiesen und das Christentum immer wieder nachdrücklich gewürdigt. H., der sich als tief religiöser Mensch verstand, hatte den Anspruch, den gesamten Inhalt des christlichen Glaubens in sein philosophisches System zu integrieren. Die alten Mythen sollten erhalten bleiben, sie bedurften nur einer zeitgemäßen Auslegung, einer Interpretation auf der Höhe der Zeit, die selbstverständlich nur er, H., der Mann mit dem direkten Draht zum Weltgeist, liefern konnte… In Stollbergs Inferno berichtet Camus, dass H. schon nach zweimaliger Feuerreinigung den Sprung nach oben geschafft habe. Wahrscheinlich hätte eine einmalige Reinigungsprozedur beim einflussreichen “Weltdenker” schon genügt…Hauptwerke: Phänomenologie des Geistes; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse; Wissenschaft der Logik; Philosophie des Geistes; Grundlinien der Philosophie des Rechts.

Heidegger, Martin (1889-1976): Philosoph, Prof. in Marburg, später in Freiburg. Ausgehend von Husserl und Kierkegaard versuchte H. das Sein (in Heideggers Sprache: das “Seyn”) zu ergründen und vom bloß “Seienden” zu unterscheiden (die sog. “ontologische Differenz”). Um dies zu bewerkstelligen, schuf er eine eigene Terminologie, die für die Einen Zeichen höchster philosophischer Tiefgründigkeit, für die Anderen unbestechliches Signum für spekulativen Unsinn ist. Die Grundverfassung des menschlichen Daseins fasst H. als ein “In-der-Welt-Sein”, das von “Angst” und “Sorge” bestimmt sei. Indes: Von den wirklichen Ängsten und Sorgen seiner Mitmenschen bekam der sensible H. wenig mit. Als die Nazis das “Aus-der-Welt-Sein” von Juden, Sinti und Roma, Schwulen und Kommunisten besorgten, spekulierte H. sorgenfrei weiter. Von daher verwundert es nicht, dass er auch postmortal nicht zum Widerstandskämpfer taugte. Hauptwerke: Sein und Zeit; Vom Wesen des Grundes; Was ist Metaphysik?; Vom Wesen der Wahrheit; Über den Humanismus; Holzwege; Zur Seinsfrage; Identität und Differenz.

Heine, Heinrich (1797-1856): Lyriker und Schriftsteller, studierte in Bonn, Göttingen und Berlin, ging als Korrespondent der Augsburger “Allg. Zeitung” nach Paris, wo er u.a. Victor Hugo, Ludwig Börne und George Sand traf. Schon früh fand Heines romantische Lyrik ein großes Publikum. Angeregt u.a. durch Marx (an dessen “Deutsch-Französischen Jahrbüchern” er sich beteiligte) wandte sich H. später zunehmend politischen Themen zu. Ab 1835 in Deutschland verboten, bekämpfte H. die Zensoren mit beißendem Spott und hintergründiger Ironie. Wie Feuerbach in Stollbergs Inferno berichtet, setzte H. seine bissigen Attacken auch postmortal unverdrossen fort. Hauptwerke: Lyrisches Intermezzo; Buch der Lieder; Neue Gedichte; Harzreise; Das Buch Le Grand; Deutschland. Ein Wintermärchen; Atta Troll. Ein Sommernachtstraum; Über Ludwig Börne. Eine Denkschrift.

Hendrix, Jimi (1942-1970): amerikan. Rockmusiker (Sänger, Gitarrist und Komponist), revolutionierte das Gitarrenspiel und hatte großen Einfluss auf die nachfolgenden Musikergenerationen. Blieb sich auch postmortal treu. Zappa berichtet, H. sei ständig “high” aufgrund seines ungezügelten Hostien- und Weihrauchkonsums… Hauptwerke: Are You Experienced; Axis: Bold as Love; Electric Ladyland; Band of Gypsys; Jimi plays Monterey.

Horkheimer, Max (1895-1973): Philosoph und Soziologe, Leiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, entwickelte im Anschluss an Hegel und Marx die Grundpfeiler der sog. “Kritischen Theorie”. Auf die Studentenbewegung der 1960er Jahre hatten vor allem seine früheren Werke Einfluss, der tiefe, an Schopenhauer erinnernde Pessimismus des späten H. stand dem politischen Aktionismus dieser Tage eher im Wege. In Stollbergs Inferno gehört H. mit seinem ständigen Wegbegleiter Adorno zur Fraktion der Pessimisten und gescheiten Bedenkenträger. Wie Camus berichtet, hat sich seine Hinwendung zum Schopenhauerschen Pessimismus postmortal noch verstärkt. Hauptwerke: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft; Dialektik der Aufklärung (mit Adorno); Kritische Theorie.

Joplin, Janis (1943-1970): amerikanische Rock- und Bluessängerin, die in einem ihrer berühmtesten Songs den “lieben Gott” bat, er möge ihr doch einen Mercedes Benz kaufen, was der Angesprochene aber angesichts des Lebenswandels Joplins sicherlich nicht getan hätte, selbst wenn er es gekonnt hätte. J. starb nach einem kurzen, wilden Leben und gehört (wie Morrison und Hendrix) postmortal zur Gruppe der Weihrauch- und Hostien-Junkies. Hauptwerke: Cheap Thrills; I Got Dem Ol’ Kozmic Blues Again Mama!; Pearl; Live at Woodstock.

Kafka, Franz (1883-1924): österr. Schriftsteller, Jurist und Versicherungsbeamter. Zu seinen Lebzeiten erschienen nur einige wenige Erzählungen; einen Großteil seines Werkes gab Max Brod aus dem Nachlass heraus. K. zählt mit Recht zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Seine Werke sind getragen von einer nie ganz fassbaren, bedrohlichen Grundstimmung, hervorgerufen durch einen Schreibstil, der merkwürdig lakonisch, bei aller Klarheit rätselhaft unheimlich, eben “kafkaesk” ist. Wie Zappa in Stollbergs Inferno berichtet, hat Herr K. das Gefühl, nur eine bedeutungslose Randfigur im Roman eines reichlich überspannten Schriftstellers zu sein, womit er womöglich wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Hauptwerke: Das Urteil; In der Strafkolonie; Die Verwandlung; Ein Hungerkünstler; Brief an den Vater; Der Prozess; Das Schloss.

Kant, Immanuel (1724-1804): Philosoph, Prof. für Logik und Metaphysik in Königsberg, eine Stadt, die der im Alltagsleben höchst skurrile, ja zwanghafte Meisterdenker der Aufklärung nie verlassen hat. K., zweifellos einer der größten Philosophen der Geistesgeschichte, legte die Fundamente der modernen Erkenntnistheorie, indem er Apriori (vor der Erfahrung angelegte Denkkategorien) und Aposteriori (Kategorien nach der Erfahrung) der Erkenntnis unterschied und logisch begründete, warum das “Ding an sich” im Unterschied zu seiner “Erscheinung” nicht erfahrbar sei. Im Bereich der Ethik postulierte er ein höchstes allgemeines Sittengesetz (den sog. “kategorischen Imperativ”) und legte dar, warum es sittlich nicht zulässig ist, Menschen als bloße Mittel zu begreifen und zu gebrauchen. Als politischer Philosoph trat er für einen republikanischen Rechtsstaat ein, für Weltbürgerrecht und die friedliche Koexistenz der Staaten (“ewiger Frieden”). Die Religion versuchte er zu zähmen, indem er sie “innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft” ansiedelte, was nicht zuletzt dafür sorgte, dass seine Werke auf den katholischen Index der verbotenen Bücher gelangten. Wie Feuerbach im Roman berichtet, blieb er seinem ethischen Imperativ auch in den Verhören der Inquisitoren treu, mit der Folge, dass er am Ende wie seine Vorgänger Epikur und Spinoza in die ewigen Flammen geschickt wurde. Hauptwerke: Kritik der reinen Vernunft; Kritik der praktischen Vernunft; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; Kritik der Urteilskraft; Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft; Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; Zum ewigen Frieden.

Kierkegaard, Søren (1813-1855): dän. Theologe, Philosoph und Schriftsteller, scharfer Kritiker der akademischen Theologie sowie des bürgerlichen Christentums, geriet in zunehmende Distanz zum Staatschristentum und trat kurz vor seinem Tod sogar aus der Kirche aus. K. entwickelte in bewusstem Kontrast zum Systemdenker Hegel eine Philosophie der individuellen Existenz. Diese erfolgt K. zufolge in drei Stufen: vom ästhetischen über das ethische zum religiösen Stadium. Erst im letzten, dem religiösen Stadium, soll dank der Gnade Gottes die Überwindung von Angst und Verzweiflung gelingen, Eigenschaften, die – wie Kierkegaard eindrucksvoll und sensibel schildert – den Menschen existenziell kennzeichnen. Angesichts seiner tiefreligiösen Überzeugungen ist es verständlich, dass K., wie Camus im Inferno berichtet, nach kurzem postmortalem Reinigungsprozess bestens vorbereitet war, der Gnade Gottes teilhaftig zu werden. Hauptwerke: Entweder-Oder; Furcht und Zittern; Der Begriff der Angst; Die Krankheit zum Tode; Einübung im Christentum.

Luxemburg, Rosa (1871-1919): sozialistische Politikerin, führende Theoretikerin des linken Flügels der SPD, mit Karl Liebknecht Initiatorin des Spartakusbundes und Mitbegründerin der KPD. Schon früh kritisierte L. den Zentralismus und die diktatorische Herrschaftsform der Bolschewiki. Nach dem Spartakusaufstand von 1919 wurde sie verhaftet und von Freikorpsoffizieren erschossen. In Stollbergs Inferno gehört sie zur Riege der Todsünderinnen, die die Revolte gegen die Endlösungspolitik Gottes anführen. Hauptwerke: Sozialreform oder Revolution; Die Akkumulation des Kapitals; Die russische Revolution.

Maharaj, Sri Nisargadatta (1897-1981): indischer Mystiker, Repräsentant der Advaita-Lehre. M. vertrat eine monistische Metaphysik, die unterstellte, dass alle Erscheinungen nur Spiegelungen der allgegenwärtigen Ganzheit seien. Die Vorstellung, ein Individuum zu sein, beruht M. zufolge auf einer fehlerhaften Spaltung von Subjekt und Objekt. In Wahrheit sei alles eins. Es gibt keine Heiligen, keine Sünder, keine Götter, keine Teufel, kein Gut und kein Böse, keinen Himmel, keine Hölle. Alles Trennende ist bloße Illusion. Alles was ist, ist Bewusstsein. Als Stollberg dem Dissidenten im 4. Ring begegnet, weist M. ihn sanft darauf hin, dass er selbst, Gott, die Welt etc. nur in Stollbergs Vorstellung existierten. Eine Idee, die Stollberg einigermaßen verwirrt. Hauptwerk: Ich bin.

Mahler, Gustav (1860-1911): österr. Komponist und Dirigent, künstlerischer Direktor der Wiener Hofoper, Leiter der Wiener Philharmoniker; Kapellmeister an der Metropolitan Opera in New York und musikalischer Direktor der New York Philharmonic Society. Zu Lebzeiten war Mahlers enorm spannungsreiches, kompositorisches Werk höchst umstritten und wurde in der Nazizeit als Musterbeispiel “jüdischer Entartung” geschmäht. Erst in den 1960er Jahren setzte die große Mahler-Renaissance ein (neben Dirigenten wie Leonard Bernstein und Raffael Kubelik erwarb sich auch Adorno, der Mahlers Sinfonien als “Balladen des Unterliegens” feierte, in diesem Zusammenhang große Verdienste). Heute zählt M., der “Zeitgenosse der Zukunft”, der gleichzeitig Vollender als auch Überwinder der Spätromantik war, weltweit zu den meistgespielten Komponisten. Im Unterschied zu seinem musikalischen Vorbild Anton Bruckner, der seine grandiosen Sinfonien aus einer beinahe mittelalterlich anmutenden Glaubenswelt schöpfte, war M. ein zeitlebens Suchender und vieles spricht dafür, dass seine Größe als Komponist nicht zuletzt seinem Scheitern zu verdanken ist, endgültige Gewissheit zu erlangen. In Stollbergs Inferno gehört M. zu den “entarteten Komponisten”, die mit C-Dur-Dreiklängen gequält werden. Camus berichtet, dass M. gezwungen wurde, Bachs “Wohltemperiertes Klavier” auf einem verstimmten Westernklavier zu spielen, worauf M. gebeten habe, man möge ihn doch lieber direkt den Flammen übergeben…Hauptwerke: 10 Sinfonien; Das Lied von der Erde; Kindertotenlieder.

Marcuse, Herbert (1898-1979): Philosoph, Mitarbeiter am Frankfurter Institut für Sozialforschung, lehrte nach der Emigration in die USA an der Harvard University sowie an der University of California. Ähnlich wie Fromm und Wilhelm Reich kombinierte M. Marxismus und Psychoanalyse. Im Unterschied zum klassischen Marxismus sah M. das “revolutionäre Subjekt” des Spätkapitalismus nicht im Industrieproletariat, sondern in den Studenten sowie in den gesellschaftlich Marginalisierten (d.h. im sog. “Lumpenproletariat” nach alter marxistischer Terminologie). Während Adorno und Horkheimer sich schnell von den rebellierenden Studenten distanzierten (Adorno rief in seiner Not sogar nach der Polizei!), solidarisierte sich M. mit den Protestierenden und wurde so zu einer der wichtigsten Identifikationsfiguren der “Neuen Linken”. M., der zeitlebens entschieden gegen jegliche Form repressiver Toleranz agitierte, gehört auch postmortal zu den treibenden Kräften der rebellierenden Todsünder. Etwas anderes wäre von ihm auch kaum zu erwarten gewesen. Hauptwerke: Triebstruktur und Gesellschaft; Der eindimensionale Mensch; Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft; Die Permanenz der Kunst; Kritik der reinen Toleranz.

Marx, Jenny (geb. von Westphalen) (1814-1881): Ehefrau und Mitstreiterin von Karl Marx. Jenny, die aus hohem adligem Hause stammte, gab ihre sichere Zukunft in Wohlstand auf, um mit dem “Teufel aus Trier” ein Leben unter meist bedrückenden ökonomischen Verhältnissen zu führen. Von ihren sieben Kindern starben vier schon im Säuglings- bzw. Kleinkindalter. Jennys Anteil an Marxens Werk wurde lange Zeit unterschätzt. Sie war nicht nur Ehefrau und Mutter, sondern auch wichtige Lektorin und Kritikerin ihres Mannes. Postmortal in den 7. Ring der Todsünderinnen verbannt, beteiligt sie sich am Aufstand gegen Gott und seine treuen Diener.

Marx, Karl (1818-1883): Philosoph, Nationalökonom, politischer Journalist und Arbeiterführer, mit Friedrich Engels Vater des sog. “wissenschaftlichen Sozialismus”. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte setzte er sich vor allem mit der Philosophie Hegels auseinander, die er unter dem Einfluss Feuerbachs als idealistisch verwarf und materialistisch uminterpretierte. Nach Ausweisungen aus Deutschland, Frankreich und Belgien zog er nach London, wo er bis zu seinem Tod lebte. M. zufolge ist die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Klassenkämpfe, in der das individuelle wie kollektive Bewusstsein wesentlich vom gesellschaftlichen Sein beeinflusst wird und der ökonomische Aspekt (Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse) als letztlich entscheidende Determinante gesellschaftlichen Wandels begriffen werden muss. Wie bei Hegel steht auch bei M. ein abstrakter Fortschrittsautomatismus der Geschichte im Mittelpunkt der Theorie. Allerdings: Während bei Hegel der damalige preußische Staat als geschichtsnotwendiges Idealbild des Staates überhaupt gedeutet wird, blickt M. über die Gegenwart hinaus. Die Zukunft wird zur Verheißung einer weltgeschichtlichen Erlösung, eines “Reichs der Freiheit”, dessen Vorzeichen allein M. – ähnlich den Propheten des Alten Testamentes – richtig zu interpretieren weiß. Wie Hegel versteht auch M. seine Theorie als Höhepunkt der geschichtlichen Entwicklung. Als solche ist sie unantastbar und deshalb gelten Kritiker auch automatisch als Ketzer, die es – um die Reinheit der heilen Theorie zu bewahren - auszuschalten gilt. Anfangs – bei Marx und Engels – geschieht dies mit Worten (wenn auch mit recht rüden Worten, wenn man sich beispielsweise den Briefwechsel der beiden ansieht), später jedoch ergänzten Marxens Nachfolger die “Waffe der Kritik” schnell durch die “Kritik der Waffen”. Dabei enthüllt die ungeheure Rücksichtslosigkeit, mit der von Anfang an jede kleinste Abweichung von der offiziellen Doktrin verfolgt wurde, den implizit religiösen Charakter der gesamten Unternehmung. Tragischerweise lieferte M. selbst den Grundstein dafür, dass sein Ansatz in der Folge zur fundamentalistischen Politreligion verkommen konnte, in der orthodox geschulte, kommunistische Parteipriester das Hochamt der Gewalt zelebrierten. In Stollbergs Inferno gilt M. als der Todsünder Nr.1, was nur allzu verständlich ist, wenn man sich beispielsweise seine fulminante “Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie” vor Augen führt. Die Religion bezeichnete M. dort als “Seufzer der bedrängten Kreatur” als “Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist”. Während sich Feuerbach, von dem M. vieles übernahm, in seiner Religionskritik auf das individuelle, sinnliche Wesen konzentrierte, ging es M. vordringlich um die Aufhebung der gesellschaftlichen Zustände, die den weltanschaulichen Nährboden für das religiöse Elend bereiteten. Hauptwerke: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie; Die Heilige Familie; Die deutsche Ideologie; Ökonomisch-philosophische Manuskripte; Das Elend der Philosophie; Das Kommunistische Manifest; Zur Kritik der politischen Ökonomie; Das Kapital.

Mengele, Josef (1911-1979): SS-Hauptsturmbannführer, Anthropologe und Lagerarzt in Auschwitz II. M, der wie sein Kollege Johann Paul Kremer zwei Doktortitel inne hatte (Medizin und Philosophie), nutzte seine Stellung in Auschwitz, um im “Dienste der Wissenschaft” Experimente (vor allem an Zwillingen und Behinderten) durchzuführen, die in ihrer Menschenverachtung, Brutalität und Grausamkeit wohl einzigartig in der Menschheitsgeschichte sind. Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes entzog sich. M. der Verhaftung und tauchte (unterstützt u.a. durch katholische Geistliche) in Argentinien, später in Brasilien unter. In Stollbergs Inferno erfahren wir, dass M. seine Experimente im 6. Ring fortsetzte. Dort begeistert ihn vor allem die Möglichkeit, Menschen sezieren zu können, ohne sie zu töten. Bei aller grausamen Experimentierfreudigkeit ist ihm das in Auschwitz nicht gelungen…

Morrison, Jim (1943-1971): amerikanischer Rockstar (Sänger, Texter, Komponist), Frontmann der US-Band “The Doors” und eine der großen legendären Gestalten der Rock-Geschichte, wollte stets “zur anderen Seite” durchbrechen, was ihm aufgrund seines exzessiven Drogenkonsums tragischerweise sehr früh gelang. M. gehört postmortal zur Gruppe der Weihrauch- und Hostien-Junkies. Hauptwerke: The Doors; Strange Days; Waiting for the Sun; The Soft Parade; Morrison Hotel; LA Woman.

Nietzsche, Friedrich (1844-1900): Philosoph und Schriftsteller, sprachgewaltiger “Umwerter aller Werte”, stellte der jenseitsblinden “Sklavenmoral” des Christentums eine diesseitige “Herrenmoral” gegenüber und diagnostizierte den “Tod Gottes”. Nietzsches einzigartiges Werk war eine ergiebige Fundgruppe für Vertreter unterschiedlichster Weltanschauungen, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass er seine Arbeiten eher unter ästhetischer als unter systematischer Perspektive konzipierte. Manchmal wurde behauptet, man könne mit Nietzsches wohl gesetzten Worten “alles und nichts” begründen. Selbst wenn dies wohl stark übertrieben ist, muss man doch eingestehen, dass Nietzsches Werk starke Ambivalenzen aufweist. Dies gilt auch für sein Leben. Der begeisterte Wagnerianer avancierte zum schärfsten Gegner des Bayreuther Tonschöpfers. Der Prophet des “Übermenschen” und des “Willens zur Macht” scheiterte am Menschlich-Allzumenschlichen und war am Ende so willenlos ohnmächtig, dass er nicht einmal der Entstellung des eigenen Werkes durch die Schwester entgegenwirken konnte. Dass der “fröhliche Wissenschaftler” N., der das Dunkel des dekadenten Denkens mit klarster Sprache zu erhellen trachtete, seine letzten elf Lebensjahre im Zustand geistiger Umnachtung verbrachte, passt hier ebenso ins Bild wie das Faktum, dass der Verfasser des “Antichrist” seine letzten Mitteilungen mit: “Der Gekreuzigte” unterschrieb… Auch in Stollbergs Inferno flüchtet N. zunächst in den Wahnsinn, um sich so gegen das Leid und die Absurdität der postmortalen Existenz abzuschotten. Doch im Moment der Entscheidung behält er als Einziger kühlen Kopf und verifiziert endlich seine einst etwas voreilig gestellte Diagnose vom Tode Gottes. Hauptwerke: Menschliches, Allzumenschliches; Die fröhliche Wissenschaft; Jenseits von Gut und Böse; Zur Genealogie der Moral; Also sprach Zarathustra; Der Fall Wagner; Der Antichrist; Der Wille zur Macht; Ecce homo.

Paulus (zuvor: Saulus) (?-ca. 62): Zeltmacher, christlicher Missionar und Theologe, Verfasser der ältesten Schriften des Neuen Testamentes und eigentlicher Stifter des Christentums, da er die theologischen Grundlagen für die Heidenmission und damit den geschichtlichen Erfolg des Christentums legte. P. besaß das röm. Bürgerrecht, war hellenistisch gebildet und verfügte über die enorme Begabung, epileptische Anfälle als religiöse Visionen zu deuten (“Damaskuserlebnis”.) Der Sexualneurotiker, Frauenhasser und Diesseitsverächter P. wurde früh als Heiliger verehrt. In Stollbergs Inferno ist er der unumstrittene Führer der himmlischen Exekutive.

Petrus, Simon (?-ca. 64): Fischer, Apostel, Führungspersönlichkeit der jesuanisch-jüdischen Urgemeinde. Der Beiname P. (“Stein”) wurde ihm von Jesus bei seiner Berufung zum Apostel verliehen, aber der vermeintliche “Fels in der Brandung” wurde seinem Ehrentitel kaum gerecht: erst verleugnete er seinen “Herrn”, dann unterlag er dem wortgewandten Paulus im Streit um die Mission der Nichtjuden (“Heidenchristen”). Paradoxerweise wird ausgerechnet auf ihn, der in der Nachfolge des historischen Jesus nur Juden bekehren wollte, das höchste Amt innerhalb der kosmopolitischen Missionsagentur “Katholische Kirche” zurückgeführt (“Petrusamt” des Papstes). Im Volksmund wie in Stollbergs Inferno versieht P. eine eher profane, untergeordnete postmortale Aufgabe, nämlich die des “Himmelspförtners” bzw. des “Türstehers”.

Picasso, Pablo (1881-1973): span. Maler, Grafiker, Bildhauer, wichtigster Repräsentant des Kubismus und für viele der größte Maler des 20. Jahrhunderts überhaupt. Mitte der 1920er Jahre erhielt P. wichtige Impulse durch den Kontakt zur Gruppe der Surrealisten, was sich vor allem in dem monumentalen Werk “Guernica” (entstanden unter dem Eindruck der Zerstörung der Stadt durch die Legion Condor) widerspiegelt. Im Unterschied zu Salvador Dali, der sich dem klerikofaschistischen Franco-Regime anbiederte, blieb P. standhaft und kehrte seiner geliebten Heimat für immer den Rücken. In Stollbergs Inferno berichtet Görlitz, dass P. unter Zwang kitschige Madonnenbilder für den 1. Ring herstellt. An eine solche Wandlung aber kann und will Stollberg nicht glauben.

Reich, Wilhelm (1897-1957): österr. Psychoanalytiker, Arzt, Gesellschaftstheoretiker und Erfinder, neben Herbert Marcuse und Erich Fromm der wichtigste Freudomarxist des 20. Jahrhunderts. R. war Vorreiter der sexuellen Revolution und Wegbereiter körperorientierter Therapieformen (beispielsweise der Bioenergetik). Er schaffte es innerhalb kürzester Zeit sowohl aus sozialistischen Zirkeln (wegen Kritik an der Sowjetunion und Sexpol-Aktivitäten) ausgeschlossen zu werden als auch aus der Psychoanalytischen Vereinigung (vorwiegend wegen seiner Orgasmustheorie, die u.a. Freuds Todestriebkonzept in Frage stellte): Nach der Emigration in die USA glaubte der zunehmend isolierte R. eine kosmische Energieform namens “Orgonenergie” entdeckt zu haben. Er erfand den Orgon-Akkumulator und den sog. “Cloud Buster” zur Wetterbeeinflussung. Daraufhin begann die amerikanische Food Drug Administration (FDA) gegen ihn zu ermitteln. Da er dem Gerichtsverfahren fernblieb, wurden seine Bücher und Akkumulatoren vernichtet. Doch damit nicht genug: Wegen Missachtung des Gerichts wurde R. zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. 8 Monate nach Haftantritt fand man ihn tot in der Zelle des Zuchthauses Lewisburg auf. In Stollbergs Inferno treffen die Revoltierenden auf einen reichlich verwirrten R., der hier abermals aus dem Kreis der Psychoanalytiker verbannt wurde. Mit Bedauern stellt Stollberg fest, dass sich der mentale Zustand des einst so genialen Mannes postmortal weiter verschlechtert hat. Hauptwerke: Die Funktion des Orgasmus; Die sexuelle Revolution; Der Einbruch der Sexualmoral; Massenpsychologie des Faschismus; Die Sexualität im Kulturkampf; Rede an den kleinen Mann.

Russell, Bertrand (1872-1970): brit. Mathematiker, Philosoph, freigeistiger Schriftsteller und eigenwilliger Universalgelehrter, war Dozent in Cambridge; wurde während des Ersten Weltkrieges wegen seiner Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung inhaftiert, lebte von da an ohne festes Amt, übernahm aber zahlr. Gastprofessuren. Berühmt geworden durch seine Arbeiten zur Grundlegung der Mathematik, widmete er sich in der Folge nicht nur erkenntnistheoretischen und physikalischen Fragestellungen, sondern auch sozialen und politischen Problemen. Durch sein entschiedenes Engagement für Gewaltfreiheit, Pazifismus, Frauenstimmrecht und die Befreiung der bürgerlichen Sexualmoral schaffte sich R. viele Feinde. Von 1927-32 betrieb er zusammen mit seiner zweiten Frau die antiautoritäre Modellschule “Beacon-Hill”. Zur Verärgerung der konservativen Kräfte wurde ihm 1950 der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Noch im hohen Alter war R. in der Friedensbewegung aktiv, kämpfte gegen atomare Rüstung, den Vietnam-Krieg und die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei. Auch in religiösen Dingen nahm R. kein Blatt vor den Mund. Seine Schrift “Warum ich kein Christ bin” gehört zu den einflussreichsten freigeistigen Schriften, die jemals verfasst wurden. Dass er im Roman dafür mit der Verbannung in den Ring der Todsünder bestraft werden musste, ist evident. Ebenso, dass R. auch dort seinen Weg des aufrechten Gangs konsequent weiter verfolgte. Hauptwerke: Principia Mathematica; Mystik und Logik; Einführung in die mathematische Philosophie; Mensch und Welt; Warum ich kein Christ bin; Philosophie des Abendlandes; Ehe und Moral; Das menschliche Wissen; Macht und Persönlichkeit; Autobiographie.

Sartre, Jean-Paul (1905-1980): frz. Philosoph und Schriftsteller, Hauptvertreter des frz. Existentialismus, Lebensgefährte von Simone de Beauvoir, sympathisierte zeitweilig mit dem Kommunismus (in dieser Zeit Bruch mit Camus), war Vorsitzender des “Russell-Tribunals” gegen den Vietnamkrieg und lehnte 1964 den Nobelpreis für Literatur ab. In seiner Philosophie unterscheidet S. das nichtmenschliche Sein (“An-sich-Sein”) vom menschlichen Bewusstsein (“Für-sich-Sein”). Als selbstbewusstes Wesen wird sich der Mensch selbst zum Problem. Er ist zu der “Freiheit verdammt”, sein eigenes Leben zu erschaffen, sich selbst zu “entwerfen”, die Essenz der eigenen Existenz zu bestimmen. Das Besondere an Sartres Existentialismus ist die eigenwillige Verknüpfung einer an Kierkegaard oder Heidegger erinnernden Existenzphilosophie mit der aufs Kollektive abzielenden, marxistischen Gesellschaftstheorie. Mit theologischen Fragestellungen hat sich S. kaum befasst. Nietzsches Diagnose vom Tode Gottes war eine geradezu selbstverständliche Denkvoraussetzung, vor deren Hintergrund sich die existentialistische Fragestellung überhaupt erst entfaltete. In Stollbergs Inferno zählt S. zur Avantgarde der revoltierenden Todsünder. Seine Erfahrung aus der Zeit der Resistance kommt ihm hierbei zugute. Hauptwerke: Das Sein und das Nichts; Kritik der dialektischen Vernunft; Der Ekel; Was ist Literatur?; Die Fliegen; Bei geschlossenen Türen; Die schmutzigen Hände; Die Eingeschlossenen; Die Wege der Freiheit; Die Wörter.

Schönberg, Arnold (1974-1951): österr. Komponist und Musiktheoretiker, komponierte zunächst in der Tradition von Brahms, Wagner und Richard Strauß, bekannte sich dann zu Mahler, gelangte schließlich an die Grenzen der Tonalität und versuchte die atonale Kompositionsweise mithilfe der sog. “Zwölftontechnik” zu systematisieren. Zu Schönbergs Schülern zählten u.a. Anton von Webern, Alban Berg und Hanns Eisler. Auch Adorno versuchte sich zeitweilig als Zwölftonkomponist – wenn auch mit mäßigem Erfolg. In Stollbergs Inferno gehört S. zu den ästhetisch in Ungnade gefallenen Komponisten, die mit C-Dur-Akkorden gequält werden. Hauptwerke: Verklärte Nacht; Gurrelieder; George-Lieder; Die glückliche Hand; Ein Überlebender aus Warschau; Pelleas und Melisande; Fünf Orchesterstücke.

Schopenhauer, Arthur (1788-1860): Philosoph, Hauptvertreter des philosophischen Pessimismus, war gleichzeitig mit Hegel Dozent an der Berliner Universität, jedoch weit weniger erfolgreich als dieser, woraus sich von Seiten Schopenhauers eine lebenslange glühende Feindschaft entzündete. S. zählt unbestritten zu den großen Stilisten der Philosophie, seine Sprache ist klar, brillant, mitunter aufs Schärfste polemisch. Der “böse Großonkel der Menschheit”, der – so Stollberg – “zu klug war, um freundlich zu sein”, zeigte auf, dass die Hölle keine metaphysische Erfindung sei, sondern sich im alltäglichen Leben widerspiegelt. Nur in der Kunst und im Handeln aus Mitleid (nach S. das eigentliche Fundament der Ethik) könne die “Vereinzelung des Einzelnen” zeitweilig aufgehoben werden. Eine dauerhafte Erlösung aber gibt es nach S. nur, wenn der Wille, der die Welt erschafft, sich selbst als unvernünftig und böse erkennt, denn erst dadurch, so glaubt S. in der Tradition Buddhas, wird er in die Lage versetzt, ins Nichts (Nirwana) überzugehen. In gewisser Weise war S. auf sein postmortales Schicksal als Todsünder bestens vorbereitet. Stollberg ist überzeugt, dass er es vorzog, in der Hölle zu schmoren als dem endzeitbeglückten Grinsen der Seligen im Paradies ausgeliefert zu sein… Hauptwerke: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde; Die Welt als Wille und Vorstellung; Über den Willen in der Natur; Die beiden Grundprobleme der Ethik; Parerga und Paralipomena.

Schubert, Franz (1797-1828): österr. Komponist, hinterließ, obgleich früh verstorben, ein umfangreiches, bedeutendes, von der Wiener Klassik und der Romantik geprägtes Werk, in dessen Zentrum zweifellos die Klavierlieder stehen. S. vertonte zu Lebzeiten zahlreiche Dichtungen Goethes, was er Görlitz zufolge auch postmortal fortsetzte, wobei er – wie so häufig in seinem Leben – seine musikalische Formsprache den begrenzten Ansprüchen seiner Auftraggeber anpassen musste. Hauptwerke: 8 Sinfonien; 15 Streichquartette (u.a. “Der Tod und das Mädchen”); 15 Klaviersonaten; Deutsches Requiem; Deutsche Messe; rund 600 Klavierlieder (darunter u.a. die Liederzyklen “Die schöne Müllerin” und die “Winterreise”)

Schweitzer, Albert (1875-1965): aus dem Oberelsass stammender evang. Theologe, Arzt, Philosoph und Musiker, gründete 1913 das Tropenhospital Lambarene und wirkte dort bis zu seinem Tod als Missionsarzt. Innerhalb der Theologie leistete er wichtige (auch kritische!) Beiträge v.a. zur Leben-Jesu-Forschung; darüber hinaus erwarb er sich als Musiker Verdienste durch die Herausgabe und Neuinterpretation des Orgelwerkes von J.S. Bach. Im ethischen Bereich trat S. durch den Grundsatz einer “Ehrfurcht vor dem Leben” hervor. 1951 erhielt er den Friedenspreis des Dt. Buchhandels, 1952 den Friedensnobelpreis. In Stollbergs Inferno gehört S. mit Spee, Gollwitzer & Co. zum Kreis der christlichen Dissidenten, die mit Gottes Endlösungspolitik nicht einverstanden sind. Hauptwerke: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung; Briefe aus Lambarene; Die Ehrfurcht vor dem Leben.

Spee, Friedrich (1591-1635): Theologe, Jurist, Dichter, schrieb anonym die berühmte, einflussreiche “Cautio criminalis”, eine Schrift, in der er sich mutig gegen die Praxis der sog. “Hexenprozesse” stellte. Als Dichter wurde er bekannt durch die religiösen Lieder der “Trutz-Nachtigal”. S. gehört auch postmortal zum Kreis der widerständigen Christen. Aber ebenso wenig, wie er in der “Cautio criminalis” die Existenz von Dämonen und Hexen in Frage stellte (sondern nur die Praxis der Gerichtsprozesse angriff), ist er nun in der Lage, Gott selber in Frage zu stellen und somit entschieden die Fronten zu wechseln.

Spinoza, Baruch (Benedictus) de (1632-1677): niederländ. Philosoph und Religionskritiker, wurde bereits 1656 wegen seiner Kritik an religiösen Dogmen mit dem Bannfluch der jüd. Gemeinde belegt. Sein “Theologisch-polit. Traktat” war Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen. S. zufolge sind Gott und Natur ein und dasselbe, alle Erscheinungen sind nur Modi der einen unendlichen Substanz, aus der alles, was ist, notwendig folgt. Spinozas Pantheismus kann bei genauerer Betrachtung auch als Atheismus verstanden werden, schließlich wird Gott in dem Moment, in dem Gott und die Welt nicht mehr zu unterscheiden sind, zu einem inhaltsleeren Begriff. Darauf zielt auch der Hinweis des Inquisitors ab, der Stollberg im Inferno verhört und ihm abrät, im Sinne Spinozas zu argumentieren. Schließlich sei auch der große niederländische Philosoph am Ende in der Hölle gelandet. Hauptwerke: Theologisch-politischer Traktat; Ethik; Opera posthumana.

Stalin, Josef (eigentl. J. Dschugaschwili) (1879-1953): sowjet. Diktator, wurde 1899 wegen Verbindungen zu marxistischen Kreisen aus dem Priesterseminar in Tiflis ausgeschlossen. Ab 1912 war S. Mitglied des ZK, ab 1917 des Politbüros der Bolschewiki, ab 1922 versah er den neu geschaffenen Posten des Generalsekretärs. Nach Lenins Tod gelang es ihm, seine Konkurrenten (insbesondere Trotzki) nach und nach auszuschalten. Durch eine rigorose Vernichtungspolitik, die ihren Höhepunkt in den “Säuberungen” und Schauprozessen der 1930er Jahre fand, schuf S. eine Atmosphäre permanenter Angst. Er avancierte zum uneingeschränkten Diktator, stilisierte sich selbst als vom Histomat bestimmter Führer der “Arbeiterklasse” und unfehlbaren Papst des kommunistischen Parteipriestertums. Erst nach Stalins Tod 1953 konnte langsam und mehr oder weniger zaghaft ein Entstalinisierungsprozess einsetzen, der nach vielen Rückschlägen schließlich zur Glasnost-Politik Gorbatschows. Camus berichtet im Roman, dass S. nach kurzer Konfrontation mit dem Fegefeuer den Jesuiten in sich wieder entdeckt und den “großen Sprung nach oben” geschafft habe. Stollberg kann sich einen Harfe spielenden S. indes schlecht vorstellen…

Tillich, Paul (1886-1965): evang. Theologe, Sozialist und Religionsphilosoph, Mitbegründer des “Bundes religiöser Sozialisten”; 1924 Prof. in Marburg, 1925-29 in Dresden, ab 1929 in Frankfurt am Main; 1933 Emigration in die USA, dort Prof. u.a. an der Harvard University. T. erhielt 1962 den Friedenspreis des Dt. Buchhandels. In Stollbergs Inferno gehört er zum Kreis der christlichen Dissidenten. Hauptwerke: Systematische Theologie; Der Mut zum Sein; Liebe, Macht, Gerechtigkeit.

Torres, Camilo (1929-1966): kolumbianischer Theologe und Revolutionär, schloss sich der Guerillabewegung an und wurde im Februar 1966 von Regierungstruppen getötet. Der “Theologe der Revolution” setzte sich für eine – wenn nötig gewaltsame – Veränderung der Verhältnisse ein und gilt als einer der Wegbereiter der sog. “Befreiungstheologie”. Dass T. in Stollbergs Inferno zwar zu den christlichen Dissidenten gehört, aber trotz seiner prinzipiellen Gewaltbereitschaft nicht gegen Gottes Regime aufbegehrt, mag enttäuschen, zeigt aber die Grenzen der theologischen Befreiung auf.

Varèse, Edgard (Edgar) (1883-1965): amerikanischer Komponist, in Paris geboren, lebte ab 1915 in New York; wurde dort zu einem der radikalsten Vertreter der musikalischen Avantgarde. V. experimentierte mit neuartigen elektron. Klängen und Geräuschen, was ein Großteil des Publikums abschreckte, aber zumindest den jungen Frank Zappa begeisterte. Zappa berichtet auch, V. postmortal in einem der C-Dur-Trainingscamps getroffen zu haben… Hauptwerke: Ionisation; Nocturnal, Ecuatorial; Integrales; Deserts.

Wagner, Richard (1813-1883): Komponist, Musikdramatiker, Dichter, Schriftsteller, Vater des “Gesamtkunstwerkes” und der “unendlichen Melodie”, der große Erneuerer der Musik und des Musiktheaters im 19. Jahrhundert – aber gleichzeitig ein politischer Reaktionär und Antisemit mit fataler Fernwirkung (u.a. auf Adolf Hitler). 1872 legte W. den Grundstein zu seinem Bayreuther Festspielhaus, das vier Jahre später mit dem “Ring des Nibelungen” eingeweiht wurde. Nach der Uraufführung des “Parsifal” 1882 reiste W. nach Venedig, wo er 1883 starb. Wie Camus berichtet, wird Wagners salbungsvolles, heilig-schwülstiges “Bühnenweihfestspiel” Parsifal regelmäßig im Himmel aufgeführt. Ein Faktum, das Nietzsches Flucht in den postmortalen Wahnsinn zusätzlich beschleunigte. Hauptwerke: Der fliegende Holländer; Tannhäuser; Lohengrin; Tristan und Isolde; Die Meistersinger von Nürnberg; Der Ring des Nibelungen; Götterdämmerung; Parsifal.

Webern, Anton von (1883-1945): österr. Komponist, Schüler Schönbergs, einer der Hauptrepräsentanten der Zwölftontechnik, komponierte Kantaten, Lieder, Chöre, Klavierstücke, Orchester- und Kammermusik. W. muss postmortal das gleiche Schicksal wie Varese oder Schönberg ertragen und eine musikalische Umerziehung in diatonischen C-Dur-Camps über sich ergehen lassen.

Zappa, Frank (1940-1993): amerikan. Komponist, Rockgitarrist und Sänger, Kopf der US-Underground-Band “Mothers of Invention”, veröffentlichte zahlreiche Alben, die sich virtuos der unterschiedlichsten Stile bedienten. Zappas musikalische Formsprache war in etwa so eigenwillig wie Kafkas Schreibstil, weshalb sich analog zur Bezeichnung “kafkaesk” die Bezeichnung “zappaesk” einbürgerte (gebräuchlich zur Kennzeichnung ironisch-skurriler, mitunter fast unspielbar virtuoser musikalischer Floskeln). Z., einer der größten Satiriker im Musikbusiness, hatte für “religiöse Schmocks” und ihren “imaginären Big Boss in den Wolken” nichts als Verachtung übrig, was sich u.a. in der Gründung von C.A.S.H. (Church of American Secular Humanism) oder in Songs wie “Heavenly Bank Account” niederschlug. Im Inferno trifft Stollberg den 1993 an Krebs gestorbenen Bürgerschreck in der Umerziehungsanstalt für entartete Tonkünstler und erhält von ihm den Auftrag, Gott bei Gelegenheit kräftig in den Hintern zu treten. Hauptwerke: Freak Out; Absolutely Free; We’re Only in It for the Money; Hot Rats; 200 Motels; The Grand Wazoo; Over-Night Sensation; Apostrophe; Roxy & Elsewhere; One Size Fits All; Läther; Sheik Yerbouti; You Are What You Is; Broadway The Hard Way; The Yellow Shark.

Zetkin, Clara (1857-1933): sozialistische Politikerin und Lehrerin, ab 1890 führend in der sozialistischen Frauenbewegung, Mitbegründerin der USPD und KPD, Mitglied des Reichstags, ab 1925 Vorsitzende der Internationalen Roten Hilfe. In Stollbergs Inferno gehört Z. zur Avantgarde der Todsünderinnen und wäscht dem noch immer patriarchal denkenden Nietzsche in punkto Emanzipation gehörig den Kopf. Hauptwerke: Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands; Erinnerungen an Lenin; Ausgewählte Reden und Schriften.

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