Es ist kaum zu bestreiten: Wir stehen heute - an der Schwelle zum dritten Jahrtausend -
vor Entscheidungen, die das weitere Schicksal unserer Spezies fundamental bestimmen
werden. Doch: Wie werden wir uns entscheiden? Werden wir - nach all den Jahren der
entwicklungs- und umweltpolitischen Lethargie - doch noch versuchen, der Logik der
Vernichtung" Einhalt zu gebieten, oder werden wir weiterhin vor den globalen
Problemen der Menschheit flüchten in die Kirchen und Moscheen, in die New Age-Teestuben,
die Modesalons, Sportarenen, Einkaufszentren oder - vielleicht schlimmer noch - in die
Elfenbeintürme der Wissenschaft? Werden wir damit fortfahren, auf die Herausforderung der
Zukunft mit einem ungezügelten Willen zur Ohnmacht zu reagieren, weiterhin die
postmodern-bequeme Maxime Leben und Lebenlassen" propagieren, wohlwissend, daß
ihre Umsetzung unter den gegebenen Verhältnissen dazu führen muß, daß im wahrsten
Sinne des Wortes viele ihr Leben werden lassen müssen?
Wie wir aus zahlreichen Arbeiten aus dem Bereich der Zukunfts-, Ökologie und
3.Welt-Forschung wissen , müssen auf schnellstem Wege einschneidende Veränderungen am
sozioökonomischen Makrosystem vorgenommen werden, wollen wir nicht unaufhaltsam auf ein
Zeitalter größter ökologischer wie sozialer Katastrophen zusteuern. Lester BROWN, der
Leiter des renommierten Worldwatch Institute, ist mit seiner Forderung nach einem
sofortigen Start der ökologischen Revolution" nicht allein. Es besteht ein
erstaunlicher Konsens unter den ForscherInnen, daß ein weiteres Aussitzen der
Probleme" nicht länger toleriert werden kann, denn:
Entweder wir kehren die Dinge bald um, oder die sich selbst verstärkende innere
Dynamik des Szenarios der Schädigung und des Niedergangs setzt sich durch. Unsere
politischen Entscheidungen in den allernächsten Jahren werden bestimmen, ob unsere Kinder
in einer Welt der Entwicklung oder des Niedergangs leben werden."
Entscheidend für das Gelingen des Projekts der humanen" (JUNGK),
ökologischen" (BROWN) oder globalen" Revolution (KING/SCHNEIDER)
wird sein, ob wir rechtzeitig die Vision einer auf symmetrischen Austauschbeziehungen
beruhenden, globalen Gesellschaft annähernd werden verwirklichen können. Diese ist
jedoch kaum vorstellbar ohne eine Grundlage gemeinsamer oder miteinander
verträglicher Werte, die das Handeln aller Menschen prägen" .
Doch wie soll diese Grundlage gemeinsamer oder miteinander verträglicher
Werte" entstehen? An dieser Stelle folgt entweder völlige Ratlosigkeit oder es wird
- vielleicht nur ein Ausdruck dieser völligen Ratlosigkeit (?!) - auf die pädagogische
Provinz verwiesen, auf die angeblich alles entscheidende Neuformulierung der Formen und
Inhalte von Erziehung und Bildung. So schreiben die Club of Rome" - Autoren
KING und SCHNEIDER:
Es wird viel Forschung und Arbeit brauchen, das Konzept der Erziehung zu überdenken
und es den Dimensionen der kommenden Zeit anzupassen, so daß die Erzieher von heute und
morgen besser in der Lage sein werden, den gewaltigen Umfang und die Vornehmheit ihrer
Aufgabe zu erkennen: den Weg zu einer Evolution des Geistes und des Verhaltens zu weisen
und damit die neue einheitliche und zugleich vielfältige Kultur hervorzubringen."
Dieser Satz aus dem kurz vor der RIO-Konferenz entstandenen Club of Rome"-
Bericht Die globale Revolution" ist hier deshalb von besonderem Interesse, weil
er recht gut einen zentralen Aspekt des Programms der vorliegenden Arbeit umschreibt. Es
wird hier nämlich in der Tat u.a. darum gehen, das Konzept der Erziehung (und Bildung!)
zu überdenken und zwar im Hinblick darauf, ob es den Anforderungen der kommenden
Zeit" angepaßt ist, das heißt: ob es dazu beitragen kann, jene - für eine
funktionierende Weltgesellschaft erforderliche - einheitliche und zugleich
vielfältige Kultur" hervorzubringen.
Dabei ist die unscheinbare, ja harmlos klingende Formulierung einheitlich und
zugleich vielfältig" ein Schlag ins weltanschauliche Wespennest. Der Zusammenhang
Einheit/Vielfalt bzw. Monismus/Pluralismus ist nämlich einer der heiß umkämpften
Themenstränge unserer Zeit - selbstverständlich nicht nur (aber auch!) in der
Pädagogik. Genau hier stoßen die BefürworterInnen der Prämoderne, Moderne und
Postmoderne aufeinander, hier finden die großen weltanschaulichen Auseinandersetzungen
unserer Tage statt.
Von dem Ausgang dieser Debatte hängt - wie ich zeigen will - unser Schicksal und das der
nachkommenden Generationen nicht unwesentlich ab. Das Problem ist, daß alle drei
beteiligten Positionen, wenn man sie eingehender auf Herz und Nieren untersucht, mit
großen Nachteilen behaftet sind. Sie alle stehen - aus unterschiedlichen Gründen - der
Entwicklung einer einheitlichen und zugleich vielfältigen Weltkultur im Wege. In
Auseinandersetzung mit den Problemen, die aus prämodernen, modernen und postmodernen
Positionen entstehen, soll daher hier eine Perspektive entwickelt werden, die darauf
ausgerichtet ist, Einheit und Vielfalt im Sinne einer größeren Zukunftstauglichlichkeit
miteinander zu verbinden. Der vorliegende Entwurf zu einer Theorie der
Neomoderne", ein Ergebnis des Spannungsverhältnisses von Moderne und Postmoderne,
versucht - um es auf einen Nenner zu bringen -, postmodernes Beliebigkeitsdenken zu
überwinden, ohne dabei prämoderner oder moderner Dogmatik zu verfallen.
Man mag vielleicht fragen, was das alles noch mit Pädagogik" zu tun hat, also
der akademischen Disziplin, mit der der Verfasser dieser Schrift aus Berufsgründen
vornehmlich ringt. Die Antwort fällt nicht schwer: Die von KING und SCHNEIDER in Hinblick
auf die Herausforderungen der Zukunft formulierte Aufgabe, das Konzept der Erziehung
zu überdenken", ist nur zu erfüllen, wenn man die Mühen nicht scheut, die
Grundlagen unserer Erkenntnis und unserer Erkenntnistraditionen zu analysieren. Dies
wiederum verlangt ein Verlassen der pädagogischen Provinz und ein Wildern in
fremden Gärten", insbesondere in den Gärten der Soziologie und Philosophie.
Ob die dort erbeuteten fremden Früchte" in der pädagogischen Provinz Absatz
finden oder nicht, ist dabei nicht von vornherein zu entscheiden. Fest steht allerdings:
Die von KING/SCHNEIDER erhobene Vermutung, daß das Überdenken des Erziehungskon-zepts
viel Arbeit und Forschung" benötigt, ist alles andere als übertrieben.
Die vorliegende Arbeit trägt den Titel Erkenntnis aus Engagement" nicht nur
deshalb, weil sie eine Analyse des Zusammenhangs von Erkenntnis und Engagement zum Inhalt
hat, sie ist - das haben die obigen einführenden Worte vielleicht bereits vermittelt -
auch Resultat eben dieses Zusammenhangs. Die Erkenntnisse, die hier vermittelt werden
sollen, resultieren nämlich aus einem spezifischen Engagement - dem Engagement für die
Veränderung z.B. der Wissenschaft (hier vornehmlich demonstriert am Beispiel der
Pädagogik) in Richtung eines postmodern geläuterten, und dennoch radikalen - weil
neomodern" rekonstruierten - Humanismus. Nur in Rekurs auf die ethischen
Setzun-gen dieses Humanismus entfalten die hier dargebotenen Erkenntnisse ihren vollen
Sinn.
Ein solches Bekunden zu außerwissenschaftlichen" Werten mag unter dem
herrschenden Wissenschaftsparadigma befremdlich wirken. Ist ein Autor, der bekennt, daß
seine Ausführungen so stark von einem spezifischen Engagement geprägt sind und nur im
Rekurs auf dieses voll verstanden werden können, überhaupt in der Lage,
wissenschaftlich-objektiv zu argumentieren? Ist Wissenschaft unter solchen Voraussetzungen
überhaupt möglich?
Auf diese - wie man erkennen sollte: naiv formulierten - Fragen möchte ich zwei - an
dieser Stelle nur anzudeutende - Antworten geben:
1. Die hier vertretene und weiter unten (Kapitel 3.2) erläuterte Humanistische
Basis-Setzung (HBS) ermöglicht nicht nur die Einhaltung innerwissenschaftlicher Werte,
also grundlegender wissenschaftlicher Standards, sie verlangt diese sogar. Die
widerspruchsfreie, nüchterne wissenschaftliche Argumentation wird nämlich im Kontext des
neomodernen Humanismus als eine hochgradig effiziente Technik verstanden, die zur
Realisierung der grundlegenden humanistischen Ziele hilfreich ist und darum angewendet
werden sollte. Schärfer formuliert: Die innerwissenschaftlichen Werte und Standards
(logische Argumentation, systematisches Codieren von Aussagen nach dem binären
Wahr/Falsch-Muster usw.) erfahren erst ihre Legitimation durch die hier explizit
gemachten, aus der Diskussion jedoch meist ausgeblendeten, außerwissenschaftlichen Werte.
2. Damit zusammenhängend ein vielleicht trivialer, aber doch bedeutsamer Hinweis: Es kann
und soll bewiesen werden, daß alle Erkenntnis aus Engagement resultiert, daß auch alle
wissenschaftliche Erkenntnis (nur eine der vielfältigen menschlichen Erkenntnisformen)
immer durch Wertsetzungen gesteuert wird. Dieser Tatsache sind selbstverständlich auch
diejenigen unterworfen, die für sich reklamieren, frei von außerwissenschaftlichen
Werten zu forschen. Denn auch die Entscheidung, daß Wissenschaft nicht durch
außerwissenschaftliche Werte bestimmt werden soll, ist selbstverständlich eine von
außerwissenschaftlichen Werten bestimmte Entscheidung. (An dieser Stelle sei nur
auf die historischen Wurzeln des Wertfreiheitspostulats in den empirischen Wissenschaften
verwiesen. Es kann nämlich gezeigt werden, daß während der politischen und
religiösen Restauration im England des 17. Jahrhunderts die normative Neutralisierung der
empirischen Wissenschaft Hauptbedingung ihrer Institutionalisierung war." Das
Wertfreiheitspostulat war der Preis, den die empirischen Wissenschaften in einer
dogmatisch-restaurativen Zeit zu zahlen hatten. Das Bekenntnis zur Wertfreiheit war kein
Resultat innerwissenschaftlicher Diskurse, sondern Resultat außerwissenschaftlicher
Herrschaftsansprüche. Wissenschaft sollte sich nicht einmischen in politisches und
religiöses Hoheitsgebiet. So heißt es denn auch unmißverständlich in den Statuten der
Royal Society von 1663: Gegenstand und Ziel der Royal Society ist es, Kenntnisse von
natürlichen Dingen, von nützlichen Künsten, Produktionsweisen, mechanischen Praktiken,
Maschinen und Erfindungen durch Experimente zu verbessern - ohne sich in Theologie,
Metaphysik, Moral, Politik, Grammatik, Rhetorik oder Logik einzumischen." )
Wenn - wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll - alle wissenschaftliche Forschung nur in
Rekurs auf nicht-wissenschaftliche Werte verstanden und beurteilt werden kann, dann ist
einsichtig, daß eine Offenlegung der außerwissenschaftlichen Gründe wissenschaftlicher
Arbeit - wie sie hier versucht wird - dringend von Nöten ist. Sie ist als ein Versuch der
Entideologisierung von Wissenschaft zu verstehen und folgt der u.a. von POPPER und WEBER
geforderten Unterscheidung von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen
Aussagen. Daß ich im Gegensatz zu diesen beiden Autoren, die aus noch zu
erläuternden Gründen am Konzept der wertfreien Wissenschaft festhielten, das Modell
einer humanistisch engagierten Wissenschaft präferiere, werde ich an anderer Stelle zu
begründen versuchen. Hier sei - statt einer weiteren Auseinandersetzung mit der
Wertfreiheitsproblematik, die - wie gesagt - an anderer Stelle erfolgen wird, nochmals
darauf hingewiesen, daß das in den obigen Zeilen angedeutete Bekenntnis zum
humanistischen Engagement keinen Grund zur Skepsis an der wissenschaftlichen
Objektivität" dieser Arbeit darstellen, sondern vielmehr das Fehlen eines solchen
Bekenntnisses Anlaß zum Zweifeln geben sollte. Die Offenlegung außerwissenschaftlicher
Erkenntnisinteressen ist gerade ein Schlüssel zur Ermöglichung wissenschaftlicher
Objektivität.
Nach diesen Wesentliches vorwegnehmenden Überlegungen zurück zum Ausgangspunkt - nun
unter umgekehrten Vorzeichen: Diese Arbeit ist nicht nur - wie oben ange-deutet wurde -
das Resultat des Zusammenhangs von Erkenntnis und Engagement, sie hat selbstverständlich
auch die Analyse dieses Zusammenhangs zum Inhalt. Angesichts der ungeheuren Anzahl von
Arbeiten zu diesem Thema stellt sich natürlich die Frage, warum im Rahmen dieser Schrift
ein erneuter Anlauf gewagt wird, dieses hoffnungslos überstrapazierte Thema zu
bearbeiten. Was ist das Neue an dieser Arbeit? Wo liegt ihr Informationswert, will
heißen: wo liegen - verglichen mit der übrigen Literatur zum Thema - die
Unterschiede, die Unterschiede machen", um BATESONs Definition von
Information hier einmal zu bemühen?
Ich denke, daß die Werturteilsproblematik in neuem Licht erscheint, wenn - und damit
komme ich zurück auf meine einleitenden Ausführungen - die Diskurse zum Thema:
Postmoderne/Ende der Aufklärung? in die Analyse eingearbeitet werden. Wie gezeigt werden
soll, ermöglichen die im Rahmen der aktuellen Postmodernismus-Debatte gewonnenen
Erkenntnisse eine sich von herkömmlichen Ansätzen unterscheidende Interpretation des
Zusammenhangs von Erkenntnis und Engagement. Das aus der Kritik an Prämoderne, Moderne
und Postmoderne entwickelte neomoderne Verschränken von Erkenntnis und Engagement ist
dabei pädagogisch höchst relevant, und zwar nicht nur, weil es Theorie und Praxis von
Erziehung und Bildung in Hinblick auf ihre Zukunftstauglichkeit revidiert, sondern auch
deshalb, weil es überhaupt erst ermöglicht, Pädagogik an der Schwelle zum dritten
Jahrtausend zu rekonstruieren, womit wir auch beim Bedeutungsinhalt des zweiten
Untertitels der vorliegenden Arbeit angelangt sind.
Die Rede von der (Re-) Konstruktion der Pädagogik" impliziert, daß - unter
gewissem Blickwinkel zumindest (daher die einschränkende Klammer) - Pädagogik
rekonstruiert werden müsse, was bedeutet, daß sie zur Zeit - wie gesagt: unter einer
bestimmten Perspektive, nämlich der postmodernen - nicht als geschlossene Sinn-Einheit
existiert und auch nicht mehr existieren kann. Wie wir sehen werden, hat das Phänomen,
das wir Postmoderne nennen, zur Dekonstruktion dessen, was wir Pädagogik nennen (oder
nannten?), beigetragen. Der Grund: Die postmoderne Pluralisierung der zuvor im Singular
auftretenden pädagogischen Zielkategorien (Wahrheit, Freiheit, Schönheit,
Sinnhaftigkeit...) entzieht (und entzog) den ideengeschichtlich in der Moderne gewachsenen
pädagogischen Erziehungs- und Bildungskonzepten den weltanschaulichen Nährboden, weshalb
die Postmoderne eine ganz besondere intellektuelle Herausforderung für die pädagogische
Disziplin darstellt.
Ähnliches gilt - wie wir sehen werden - für die ebenfalls im Untertitel auftauchenden
Begriffssysteme Humanismus" und Wissenschaft". Auch sie sind
vehementen Angriffen seitens der Postmoderne ausgesetzt, auch sie sollen im Rahmen der
vorliegenden Arbeit neomodern rekonstruiert und wiederbelebt werden.
Die vorliegende Arbeit ist aus naheliegenden Gründen in drei Teile untergliedert, denn
es geht hier ja um eine dreifache Rekonstruktion, nämlich um die Rekonstruktion von
Humanismus, Pädagogik und Wissenschaft (in der Reihenfolge ihres Auftretens). Im
folgenden eine Übersicht über Inhalt und Aufbau der einzelnen Teile:
a) Inhalt und Aufbau des ersten Teils
Inhalt: Der erste Teil liefert die wichtigsten Grundlagen zum Verständnis des neomodernen
Ansatzes, er handelt von den Unterschieden der Denkungsarten Prämoderne, Moderne und
Postmoderne sowie von dem neomodernen Versuch, den postmodern dekonstruierten Humanismus
zu rekonstruieren.
Aufbau: Beginnen wird die Untersuchung mit dem schier hoffnungslosen Unternehmen, den oft
strapazierten Modebegriff Postmoderne" in seiner Bedeutung zu ergründen
(Kapitel 1). Dabei wird festzustellen sein, daß viele, die über die Neue
Unübersichtlichkeit" (HABERMAS) berichten, durch ihren Begriffsgebrauch und durch
die Art der Beschreibung meist nicht unwesentlich zur Unübersichtlichkeit beitragen. Um
zu einer übersichtlichen Darstellung des vermeintlich Unübersichtlichen zu gelangen,
werden wir - nachdem wir durch die Beschäftigung mit Störenfrieden, Ideensprüngen
und Dampfmaschinen" zu einer Perspektive jenseits von Materialismus und Idealismus
gefunden haben (Kapitel 2.2) - die Form der Konstruktion und Analyse hochgradig abstrakter
Idealtypen wählen. Mit Hilfe der Technik der Idealtypenbildung werden wir ein klareres
Verständnis des postmodernen Denkens entwickeln - vor allem auch, weil wir dank dieser
Technik, postmodernes, prämodernes und modernes Denkens deutlicher voneinander abgrenzen
und die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den Denkungsarten leichter untersuchen
können (Kapitel 2.3 und 2.4). Hieran anschließend wird die Theorie der Neomoderne
vorgestellt und mit den zuvor beschriebenen idealtypischen Positionen
Prämoderne/Moderne/Postmoderne verglichen werden (Kapitel 3). Nach einer mehr oder
weniger ausführlichen Darstellung des Aufbaus der neomodernen Theorie erfolgt dann ein
Rückblick auf die wechselvolle Geschichte des sogenannten Humanismus" - einer
modernen ethischen Konstruktion, die - teils zu Recht, teils zu Unrecht - unter die Räder
der postmodernen Entzauberung geraten ist (Kapitel 4.2-4.3). Der erste Teil endet mit dem
Versuch, den postmodern dekonstruierten Humanismus zu rekonstruieren und gegen
tiefenökologische/bioethische Kritik zu verteidigen (Kapitel 4.4-4.5).
b) Inhalt und Aufbau des zweiten Teils
Inhalt: Der zweite Teil behandelt vorwiegend die Frage, auf welch verschiedene Arten
Gesellschaft allgemein bzw. Pädagogik speziell auf die Herausforderung der Postmoderne
reagiert bzw. reagieren kann und welche Konsequenzen hiermit jeweils verbunden sind.
Obwohl in diesem Teil vor allem pädagogische Probleme angesprochen werden, dürfte er
auch für nicht-pädagogisches Publikum von Interesse sein, weil hier neben Analysen
aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen (z.B. Fundamentalismus, New-Age,
Neokonservatismus, Dienstleistungsorientierung) auch Erläuterungen zu zentralen Aspekten
der neomodernen Philosophie (wie z.B. die Widerlegung des Willensfreiheitspostulats) zu
finden sind.
Aufbau: Am Anfang der Ausführungen des zweiten Teils wird die Fahndung nach der Bedeutung
des Begriffs Pädagogik" sowie eine kurze Skizzierung der
Entstehungsbedingungen der neuzeitlichen Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung
stehen (Kapitel 5.1-5.2). Hiernach werden wir - in aller Kürze - die Probleme aufdecken,
die für die durch die Moderne geprägte Pädagogik unter postmodernen Bedingungen
ent-stehen (Kapitel 5.3). Ein Großteil des zweiten Teils beschäftigt sich dann mit den
unterschiedlichen pädagogischen/weltanschaulichen Antworten auf die postmoderne
Herausforderung (Kapitel 6). Dabei werden wir die verschiedenen Postmodernismusreflexe
entsprechend der im ersten Teil beschriebenen Idealtypen Prämoderne, Moderne und
Postmoderne unterscheiden. Alternativ zu diesen idealtypischen Reaktionsformen wird dann
abschließend (Kapitel 7) erläutert werden, wie eine neomodern rekonstruierte Pädagogik
sich theoretisch und praktisch den drängenden Problemen der Zeit stellen könnte.
c) Inhalt und Aufbau des dritten Teils
Inhalt: Im abschließenden dritten Teil soll das Modell der neomodernen, humanistisch
engagierten Wissenschaft entwickelt und die Frage der gesellschaftlichen Verantwortung von
WissenschaftlerInnen behandelt werden. Dies wird unter der Perspektive der großen
sozialen und ökologischen Herausforderungen der kommenden Jahre geschehen, auf die
zukunftstaugliche Wissenschaft auf keinen Fall - wie dies heute üblich ist - mit einem
postmodernen Willen zur Ohnmacht" antworten darf.
Aufbau: Zu Beginn des dritten Teils werden wir uns mit der postmodernen Entzauberung der
Entzauberung beschäftigen und mit dem damit verbundenen Verlust der Wahrheit, der - von
vielen unbemerkt - eine fundamentale Krise der Wissenschaft ausgelöst hat (Kapitel 8).
Hierauf wird der Versuch der neomodernen Rekonstruktion der Wissenschaft erfolgen (Kapitel
9). Dabei wird zunächst das wissenschaftstheoretische Modell der Neomoderne erläutert
werden, das sich vor allem dadurch auszeichnet, daß es den Zusammenhang von Erkenntnis
und Engagement in den Vordergrund rückt (Kapitel 9.1). In einem zweiten Schritt sollen
dann die real existierenden Verhältnisse im Sozialsystem Wissenschaft" unter
die Lupe genommen und die Bedingungen diskutiert werden, die ein freies und engagiertes
wissenschaftliches Forschen ermöglichen könnten (Kapitel 9.2). Im Anschluß daran werden
wir die Frage diskutieren, inwiefern Wissenschaft Verantwortung zu tragen hat angesichts
der voranschreitenden Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der
zunehmenden Ungleichverteilung von Reichtum (Kapitel 9.3). Zum Abschluß unserer
Untersuchung werden wir uns dann der existentiellen Grundfrage stellen, ob wir - als
Spezies - denn überhaupt noch zu retten sind oder ob wir uns nicht vielleicht doch besser
den fröhlichen Bankrotteuren der Postmoderne anschließen sollten, die sich bereits heute
mit freudigem Entsetzen für die große Weltuntergangsparty stylen. Um diese Frage
halbwegs angemessen beantworten zu können, werden wir in einem mehr oder weniger rasanten
Schnelldurchlauf einige der großen aktuellen Gefährdungen der Menschheit Revue passieren
lassen (Kapitel 10.1) sowie einen kurzen Blick auf die heute diskutierten Lösungsansätze
werfen (10.2). Gipfeln wird diese Auseinandersetzung mit Weltproblemen und
Weltlösungsstrategien in einem Plädoyer für einen neuen, utopischen Realismus, der die
bürgerliche Sachzwangfixierung überwindet und den Mut hat, die Probleme radikal
anzugehen, das heißt: an der Wurzel zu packen (10.3.).
Wie weiter oben ausgeführt, verlangt die Aufgabenstellung dieser Arbeit ein Wildern
in fremden Gärten". Das ist ein nicht ungefährliches Unterfangen. Deshalb einige
technische Vorbemerkungen:
1. Das Wildern verfolgt hier nicht das Ziel, alle Früchte des fremden Gartens abzuernten
denn nur bestimmte Früchte werden interessieren. (Eine wichtige Selbstbeschränkung:
Selbst dem maßlosesten Wilderer dürfte der Genuß allzu vieler Früchte auf den Magen
schlagen.)
2. Die erbeuteten Früchte können und dürfen von mitunter sehr verschieden
Erkenntnisbäumen stammen. (Die Herkunft der Früchte mag die Verwaltung" der
fremden Gärten interessieren, dem/der WildererIn muß dies in vielen Fällen mehr oder
weniger egal sein. Für ihn/sie zählt hauptsächlich, ob die Früchte miteinander
bekömmlich zu kombinieren sind oder nicht. Eine Untersuchung der Genealogie der
Bestandteile wird nur unternommen, sofern dies nicht allzu sehr von der eigentlichen
Aufgabe abhält: dem Entwickeln einer praktisch wirksamen Rezeptur.)
Weniger metaphorisch ausgedrückt heißt das: Zur Lösung der eingangs gestellten Aufgaben
werden Probleme verschiedener wissenschaftlicher Sachgebiete erörtert und Erkenntnisse
verschiedener wissenschaftlicher Denktraditionen herbeibemüht. Dabei geht es nicht darum,
einen mehr oder weniger vollständigen Überblick über den jeweils aktuellen
Diskussionsstand zu geben. Dies ist häufig selbst für die jeweiligen SpezialistInnen
eine geradezu unbewältigbare Aufgabe. Um so unsinniger wäre es, diese Aufgabe im
Rahmen der vorliegenden Arbeit erfüllen zu wollen. Denn: Selbst wenn das Unmögliche doch
möglich gemacht werden könnte, so würde die daraus notwendigerweise entstehende
Datenmenge höchstwahrscheinlich von dem ablenken, worum es hier u.a. auch gehen soll:
nämlich kleine Schritte zu gehen in Richtung einer vielleicht etwas zukunftsfähigeren,
pädagogischen und politischen Theorie und Praxis.
Ohnehin können wir wohl davon ausgehen, daß es häufig - und ganz besonders im Rahmen
der vorliegenden Problemstellungen - sinnvoller ist, das Umfassende unvollständig zu
beschreiben als das Unvollständige umfassend. Die in der real existierenden
Wissenschaft allzu häufig vernachlässigte Aufgabe, das Umfassende unvollständig zu
beschreiben, verlangt allerdings einen heute seltener anzutreffenden
WissenschaftlerInnentypus, nämlich SpezialistInnen für den Zusammenhang,
Universal-DillettantInnen, die - mit einem gewissen Mut zur Unexaktheit ausgestattet -
auch jene theoretische Klippen meistern können, an denen die detailverbissenen
FachidiotInnen der traditionalen Wissenschaft notwendigerweise scheitern müssen.
Die geforderte universaldilletantische Spezialisierung auf den Zusammenhang"
ist selbstverständlich nur möglich mittels einer gut ausgefeilten Technik der
Eindampfung" , mit Hilfe derer die unübersichtlichen Datenmengen handhabbar gemacht
werden können. Mit der damit einhergehenden Reduktion der Information ist - analog zur
obigen Definition von Information nach BATESON - auch eine Reduktion der Unterschiede
verbunden. Das heißt: Unterschiede, die im Rahmen der Untersuchung als unwesentlich
gelten, verschwinden, werden durch das gewählte Verfahren ausgeblendet. Das mag
SpezialistInnen, die im Sinne des gängigen Wissenschaftsverständnis jeden Unterschied
sorgsam analysieren und dadurch konservieren, wahrscheinlich etwas verwirren, vielleicht
sogar abstoßen. Für das Gelingen des hier gewählten Forschungsprogramms ist diese
Technik aber unentbehrlich, denn sie allein ermöglicht jenen pragmatischen Eklektizismus,
der für die neomoderne Herangehensweise charakteristisch ist.
Damit komme ich zu einem weiteren, klärungsbedürftigen Punkt: Die verschiedenen
Themenstränge, die im Rahmen dieser Untersuchung verhandelt werden, werden stets unter
neomodernem Gesichtspunkt analysiert. Das aber bedeutet, daß viele Details (z.B.
unorthodoxe Begriffsverwendungen) nur dann richtig verstanden werden können, wenn zuvor
das Ganze richtig verstanden wurde. Mit anderen Worten: Die besondere Anlage dieser
Arbeit, die formal auch deutlich wird durch die auffallende Häufigkeit von Querverweisen
, verlangt in besonderem Maße das Beachten des hermeneutischen Zirkels. Der Leser/die
Leserin möge also mit Geduld lesen, mögliche Unklarheiten während der Lektüre
wohlwollend auslegen - gemäß der alten, hermeneutischen Maxime: im Zweifelsfall
für den Autor". In den meisten Fällen - so hoffe ich - wird sich dann an späterer
Stelle zeigen, daß sich der Autor tatsächlich etwas im Gesamtkonzept Stimmiges gedacht
hatte.
Noch eine letzte Anmerkung: Das Programm dieser Arbeit mag als überambitioniert, ja
maßlos erscheinen. Glaubt der Autor tatsächlich, daß er alleine etwas lösen kann, was
alle angeht? Steckt hinter dem gesamten Forschungsvorhaben nicht hemmungsloser
Größenwahn?
Vielleicht erweckt die eine oder andere Formulierung tatsächlich den Eindruck, als ob der
Autor - naiv von sich selbst eingenommen -, glaubt, den Stein der Weisen"
gefunden zu haben. Aber ein solcher Eindruck trügt, ja er widerspricht meinen Intentionen
in geradezu unvereinbarer Weise, denn: Erstens hält der Verfasser dieser Zeilen seine
eigenen Denkleistungen - schon aufgrund prinzipieller Erwägungen - nicht für sonderlich
originell" und zweitens ist bereits die Vorstellung, es gäbe so etwas
wie einen Stein des Weisen", den man finden und irgendwie in Besitz nehmen
könne, schwerlich kompatibel mit dem agnostischen Denkansatz, der dieser Arbeit zugrunde
liegt.
Die nachfolgend entwickelte Argumentation sollte also - trotz des engagierten, von der
Sache überzeugt klingenden Tonfalls - nicht so verstanden werden, als würde der Autor
davon ausgehen, daß seine Argumente unverrückbar richtig seien. Auch wenn mir
persönlich der hier eingenommene Standpunkt - zum gegenwärtigen Zeitpunkt - als
notwendig erscheint (weshalb ich ihn bis zu seiner möglichen Widerlegung auch vehement
vertrete ), so wird hierdurch dennoch in keinster Weise bestritten, daß es sich im
Falle des neomodernen Ansatzes nur um eine Möglichkeit unter vielen handelt, vielleicht
sogar um eine Möglichkeit, die hochgradig fehlerbehaftet ist.
Wir sehen - und das führt uns nochmals zurück auf das oben angeführte Zitat von
KING/SCHNEIDER: Das Überdenken unserer Konzepte von Humanismus, Wissenschaft und
Pädagogik in Richtung Zukunftstauglichkeit wird in der Tat viel Forschung und
Arbeit brauchen". Dieser Satz wird selbstverständlich - hieran gibt es von seiten
des Verfassers keinerlei Einwände - auch nach Abschluß dieser Arbeit uneingeschränkt
weiter gelten.
Dabei ist klar: Sollte die vorliegende Arbeit auch nur allein wegen der in ihr
auftretenden Irrtümer zu einer Weiterentwicklung unserer Theorien in Richtung eines
Sustainable Development", einer nachhaltigeren, zukunftsfähigeren Entwicklung
taugen (indem sie andere ForscherInnen davon abhält, in die gleichen theoretischen
Sackgassen zu laufen), so hätte sie doch ihren Sinn erfüllt.
Michael Schmidt-Salomon, Butzweiler/Trier 1997
Da einige meiner liebsten Freunde und Freundinnen sich selbst wohl als
religiös" bezeichnen würden, liegt es mir persönlich sehr am Herzen, an
dieser Stelle unmißverständlich klarzustellen, daß die weiter unten erfolgenden,
scharfen theoretischen Angriffe auf Religion im allgemeinen und Christentum im besonderen
nicht darauf abzielen, religiöse Menschen in ihren Gefühlen zu verletzen.
Dennoch: Ich komme nicht umhin, die Erfindung der Religion als eine der verheerendsten
Ideen der Menschheitsgeschichte zu begreifen. Alles andere wäre nach meinem jetzigen
Kenntnisstand Ausdruck einer unverzeihlichen intellektuellen Unredlichkeit.
Kritische Gegenargumente hierzu sind selbstverständlich herzlich willkommen. Nicht nur,
weil ich als Wissenschaftler (insbesondere als neomoderner) sozusagen von Berufswegen dazu
verpflichtet bin, mich von Denkfehlern zu befreien und Neues, Besseres hinzuzulernen. Es
gibt hierfür auch ganz persönliche Gründe wie z.B. die Sorge um das Wohl meiner Familie
und all derer, die mit mir in engerem Kontakt stehen: ReligionskritikerInnen sind nämlich
- wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann - auch in unserer, (noch?) mehr oder
weniger stark säkularisierten Gesellschaft immer wieder den Haßtiraden und Übergriffen
religiöser FanatikerInnen ausgeliefert. (Und diese kennen allzu häufig nur eine einzige
Maxime im Umgang mit Andersdenkenden, nämlich: Du wirst dran glauben, oder: Du
wirst dran glauben!")
Kurzum: Gerne würde mich einreihen in die Schar derer, die da sorglos hoffen, daß uns
eine neue Spiritualität oder eine Wiederbelebung der Religion zu einer gerechteren,
humaneren Welt führen möge. Doch allein: mir fehlt hierzu der Glaube, oder in unserem
Zusammenhang besser: das hinreichend überzeugende Argument zur Annahme dieses Glaubens.