Michael Schmidt-Salomon

Viva Benedikt!
Oder: Woran glauben Sie denn eigentlich?

Editorial zu MIZ 3/2005
Heft-Schwerpunkt:
"Leitkultur Humanismus und Aufklärung.
(siehe auch: www.miz-online.de/)


Wie das Leben so spielt: Wahrscheinlich verdanken wir es ausgerechnet den freigeistigen Achtundsechzigern, dass Joseph Ratzinger heute als Benedikt XVI. die Arme zum päpstlichen Segen ausbreitet. (1) Als sich nämlich Ende der 1960er Jahre die protestierenden Studenten anschickten, „unter den Talaren den Muff von 1000 Jahren“ zu lüften, war dies offensichtlich zu viel für den leidlich weltfremden, aus einfachsten katholischen Verhältnissen stammenden Theologie-Professor Ratzinger. Der schüchterne Mann aus Marktl am Inn war ob solcher „Freiheitsanmaßung“ derart geschockt, dass er alle zuvor verfolgten Reformideen zum Teufel fahren ließ und sich in der Folgezeit zum dogmatischen Hardliner entwickelte, der als intellektuell Einäugiger unter einer Herde völlig Erblindeter beinahe zwangsläufig die katholische Karriereleiter hinauffallen musste.

Man mag es vielleicht als kleine Ironie der Geschichte deuten, dass Ratzinger nun im Rahmen des katholischen „Weltjugendtags“ – ähnlich unfreiwillig wie dereinst die Achtundsechziger – seinen weltanschaulichen Gegnern auf die Sprünge half. Man stelle sich vor: Die erste Reise eines neuen Papstes, ausgerechnet zum Weltjugendtag nach Köln, im Gepäck das grenzdebile Dekret zum „vollkommenen Ablass“ – einen vollkommeneren Anlass zum medialen Gegenschlag hätte es für die freigeistigen Kräfte in Deutschland kaum geben können! Ratzinger & Co. taten wirklich alles, um uns eine Traumvorlage zu bescheren. Bei soviel freundlicher Vorarbeit wäre es schon grob fahrlässig gewesen, hätten wir diese Chance nicht einigermaßen zu nutzen gewusst!

In der Tat: „Ratzi sei Dank“ waren die Gegenveranstaltungen zum WJT „Religionsfreie Zone: Heidenspaß statt Höllenqual!“ gemessen an den bisherigen Aktivitäten der freigeistigen Verbände ein bemerkenswerter Erfolg – vor allem in Bezug auf die mediale Breitenwirkung. Zwar konnte niemand verhindern, dass sich die Mehrheit der Journalisten zu devoten Jubelorgien bemüßigt fühlte, doch immerhin wurden selten zuvor religions-, christentums- und kirchenkritische Inhalte so weitflächig kommuniziert wie in den Tagen des katholischen Folklorespektakels. Meldungen über die „Religionsfreie Zone“ fand man nicht nur in zahlreichen deutschen und internationalen Zeitungen, sondern auch auf nahezu allen Rundfunk- und Fernsehkanälen. Als Sprecher des „Heidenspaß-Komitees“ gab ich in den Tagen des WJT rund 80 Interviews – mit beachtlicher Resonanz: Unsere Veranstaltungs-Website www.religionsfreie-zone.de verzeichnete im August über 160.000 eindeutige Besuche mit 750.000 erfolgreichen Seitenaufrufen, die Zahl der Emails, die uns erreichten, lag deutlich im vierstelligen Bereich. Offenbar wurden viele Menschen das erste Mal überhaupt darauf aufmerksam, dass es in Deutschland freigeistige Verbände und Institutionen gibt.

Der vatikanische Traumpass war zwar eine notwendige, keineswegs aber eine hinreichende Ursache für den Erfolg der Kampagne. Entscheidend war, dass es uns mit der „Religionsfreien Zone“ erstmals gelungen ist, eine Aktion einigermaßen präzise auf die Bedürfnisse der Mediengesellschaft zuzuschneiden. Es zahlte sich aus, dass wir von Anfang an großen Wert darauf gelegt hatten, uns formal gut zu präsentieren: Ohne das Logo „Religionsfreie Zone“ (das als Aufkleber reißenden Absatz auch unter Journalisten fand), das Plakat mit dem grinsenden schwarzen Schaf (das von der NTV-Internetredaktion zum „Bild des Tages“ gekürt wurde) oder das von Jacques Tilly gestaltete „Dinomobil“ (das das Kölner Stadtbild eine ganze Woche lang bereicherte), hätten wir es weder in die Tagesthemen, noch ins heute-journal, noch auf die Startseiten von Stern- oder Spiegel-online geschafft.


Unser Medienpaket war so geschnürt, dass es einerseits aufgrund seiner popkulturellen Aufmachung boulevardeske Formate (beispielsweise RTL II oder die verschiedenen Jugend- und Mainstreamradiosender) bediente (speziell hierfür hatten wir die „offizielle Anti-WJT-CD Heidenspaß/Jesus war so cool“ sowie weitere Artikel des „alternativen Devotionalienpakets“ (2) produziert). Andererseits enthielt es ausreichend seriöse Informationen, an denen beispielsweise die Redakteure der Kultur- und Infosender andocken konnten. Auch wenn es für Letztere zweifellos nicht genügt hätte, eine ansprechende „Verpackung“ ohne tiefer gehende Inhalte anzubieten, darf nicht übersehen werden, dass sich die Verantwortlichen der meisten „Kulturformate“ ohne das provokative, popkulturelle Gewand wahrscheinlich erst gar nicht genötigt gefühlt hätten, Kontakt mit uns aufzunehmen. Dass sich der Deutschlandfunk beispielsweise dazu entschloss, in seiner großen, eineinhalbstündigen Diskussionssendung zum WJT (3) neben einem Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche auch einen Vertreter der Konfessionslosenverbände einzuladen, lag nicht zuletzt daran, dass wir im Vorfeld für einigen medialen Wirbel gesorgt hatten. Kurzum: Die erste Lektion, die wir aus der „Heidenspaß-Kampagne“ ziehen können, lautet: Wer widerständige Inhalte kommunizieren will, darf sich gerade auf formaler Ebene keine Blöße geben. Der Aufklärungsbewegung mangelte es bislang weniger an guten Argumenten als an guten PR-Aktionen…

Die zweite Lektion aus der Kampagne ist inhaltlicher Art. Es hat sich gezeigt, dass die Themen „Trennung von Staat und Kirche“, „Fundamentalkritik des Christentums“ oder „Kritik der Kriminalgeschichte religiöser Institutionen“ – so wichtig sie auch sind – keineswegs ausreichen, um Medienvertreter länger bei der Stange zu halten. Etwa nach der Hälfte der Interviews tauchte immer wieder direkt oder indirekt die gleiche Frage auf: Woran glauben Sie denn eigentlich? Wofür stehen Sie bzw. Ihre Organisation positiv ein?

Glücklicherweise „wollte“ es der Zufall, dass ich auf diese Frage durch die Arbeit am „Manifest des evolutionären Humanismus“ (4) sowie durch die Vorbereitung dieses Schwerpunkthefts bestens vorbereitet war. Es machte auf die Redakteure erkennbar Eindruck, dass hinter unserer Kritik am WJT eine klar benennbare, weltanschaulich-politische Position stand, die sich offen als Alternative zur religiösen Weltorientierung begriff. Gerade die Tatsache, dass wir nicht nur gegen etwas (den WJT, die Kirche, ihre Privilegien, Religion an sich), sondern auch für etwas (die Weiterentwicklung des unvollendeten Projekts von Humanismus und Aufklärung) eintraten, weckte viele Sympathien. Das zeigten vor allem die Reaktionen auf das dreiseitige Interview im Magazin Focus, in dem – wann hat es Derartiges je gegeben? – u.a. das positiv „richtungsweisende“ Plakat zur IBKA/GBS/BFG-Tagung im Oktober abgebildet war. (5)

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen spricht doch Einiges dafür, dass wir mit dem Thema „Leitkultur Humanismus und Aufklärung“ – Schwerpunktthema dieser MIZ und auch der kommenden Tagung in Köln (6) – auf das richtige Pferd gesetzt haben. Je klarer wir aufzeigen können, wie die säkulare, humanistische Alternative zu den traditionellen religiösen Denk- und Handlungsmustern konkret aussieht, desto besser stehen auch unsere Chancen, in den entsprechenden gesellschaftlichen Debatten Gehör zu finden.

Nebenbei: Es hätte durchaus einen ganz eigenen Charme, wenn wir mit der Thematisierung von Humanismus und Aufklärung als „Leitkultur“ nun ein zweites Mal von einer konservativen Steilvorlage profitieren könnten. Denn dass ihnen ausgerechnet „gott- und vaterlandslose Gesellen“ (CDU-Vize Christoph Böhr) den schönen Begriff der „Leitkultur“ abspenstig machen könnten, damit haben die „deutsch- und christentumstümelnden Abendlandretter“ der CDU/CSU mit Sicherheit nicht im Entferntesten gerechnet! Aber warum sollte es ihnen auch besser ergehen als dem Papst oder den unglücklichen 68ern? Wie das Leben so spielt…


Anmerkungen
(1) So die Diagnose Horst Herrmanns auf der Heidenspaß-Veranstaltung „Wir sind Papst? – Benedikt XVI, ein Bayer im Himmel“ am 21. August in Köln.
(2) siehe www.denkladen.de
(3) DLF-Sendung „kontrovers“ am 15.8.05 (10-11.30 Uhr)
(4) Das „Manifest des Evolutionären Humanismus – Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur“ wurde im Auftrag der Giordano Bruno Stiftung geschrieben und erscheint Anfang Oktober im Alibri Verlag.
(5) Focus 33/2005, S.68-70
(6) siehe www.leitkultur-humanismus.de

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