Manifest des evolutionären Humanismus

Über den Autor

Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil., geboren 1967, Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung und verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift MIZ. Zahlreiche Publikationen. Bei Alibri erschienen neben dem "Manifest des evolutionären Humanismus" (2005) die Studie "Erkenntnis aus Engagement" (1999) sowie der Roman "Stollbergs Inferno" (2003). Weitere Informationen zum Autor unter: www.schmidt-salomon.de.

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Auszug aus einem FOCUS-Interview mit dem Autor
 

FOCUS: Sie tun so, als müsse die christliche Lehre im Mittelalter stehen bleiben. Warum geben Sie Reformern keine Chance?

Schmidt-Salomon: Auf der Arbeitsgrundlage der Kirchen, dem Evangelium, lässt sich nichts mehr reformieren. Denn schon in ihrer Grundidee widerspricht die Bibel der Idee der Menschenrechte. Der Mensch ist dort ein Sklave Gottes.

FOCUS: Auch Agnostiker anerkennen, dass das Christentum zumindest die Verbreitung ethischer Werte befördert.

Schmidt-Salomon: Das ist eine Mogelpackung, denn jedes Menschenrecht ist gegen die Religion erkämpft worden.

FOCUS: Wie begründen Sie Ethik?

Schmidt-Salomon: Wir müssen uns in einer rationalen Diskussion auf Spielregeln einigen, wie wir Konflikte lösen. Wichtig ist, dass die Lösung fair ist - auch gegenüber nicht menschlichen Lebewesen, eben, weil wir den Menschen nicht als Krone der Schöpfung sehen.

FOCUS: Lassen sich denn aus der Biologie Verhaltensregeln ableiten?

Schmidt-Salomon: Nein, dann müssten wir auch Kindermord und Vergewaltigung gutheißen. Allerdings scheinen Menschen eine natürliche Begabung für Mitleid und Mitfreude zu haben. Wir können durch das Studium der Natur herausfinden, ob eine Norm überhaupt erfüllt werden kann.

FOCUS: Manche Forscher sehen auch ein genetisch verankertes Bedürfnis nach Religiosität.

Schmidt-Salomon: Wer Wissenschaft, Philosophie und Kunst besitzt, braucht keine Religion. Ich definiere Gott als imaginäres Alphamännchen. Wer überzeugend behaupten kann, er hätte einen besonders guten Draht zu diesem, erschleicht sich Vorteile in der menschlichen Säugetierhierarchie. Wir haben nun mal die Verhaltensneigungen von Primaten. Ein Bedürfnis ist aber kein Gottesbeweis.

FOCUS: Was halten Sie von dem Versuch einiger Theologen und Forscher, ein Gespräch zu führen und eine konfliktfreie Existenz zu versuchen?

Schmidt-Salomon: Selten hat sich die Unvereinbarkeit von Religion und Wissenschaft so deutlich gezeigt wie in den letzten Jahren. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hat gerade in der "New York Times" für den Kreationismus agitiert, mit Rückendeckung des Papstes. Deshalb brauchen wir Wissenschaftler, die sagen: Hier widerspricht die Bibel den Menschenrechten, hier den Naturwissenschaften.

FOCUS: Geraten Sie dabei nicht auch in Fundamentalismusgefahr?

Schmidt-Salomon: Nein, die wissenschaftliche Methode besteht ja gerade darin, dass wir Hypothesen aufstellen, die falsifiziert werden können. Das ist der erwachsene Zugang zur Wirklichkeit. In diesem Rahmen soll die Giordano Bruno Stiftung als eine Art Think-Tank des Humanismus und der Aufklärung wirken. Wir wollen die Wissenschaftler aus ihrem Elfenbeinturm herausholen, damit sie in die Gesellschaft hineinwirken. Das Motto heißt: Wissen statt Glauben!

FOCUS: Einige Physiker führt die Beschäftigung mit Elementarteilchen wieder zurück zu Gott.

Schmidt-Salomon: Diese Wissenschaftler entdecken aber nicht den persönlichen Gott, sondern etwas Mystisches. Das ist ein Gott, der überall ist und damit nirgendwo. Das Problem ist der persönliche Gott, der von seinen Geschöpfen Dinge verlangt, die sie nicht hinterfragen dürfen. Ein mystischer Gott lässt sich nicht mehr instrumentalisieren.

FOCUS: Wie beantworten Sie die großen Fragen nach Leben und Tod?

Schmidt-Salomon: Die Erde und die Menschen sind zeitlich begrenzte Phänomene in einem sinnleeren Universum, das irgendwann den Kältetod sterben wird. Wenn ich weiß, dass es keinen Sinn an sich gibt, bin ich dazu ermächtigt, den Sinn aus mir selbst zu schöpfen. Wenn ich weiß, dass ich endlich bin, werde ich dieses einzige Leben, das ich habe, auch wirklich leben und genießen. Ein unendliches Leben wäre unerträglich.

(Aus: FOCUS 33/05, S.68-70. Die Fragen stellte FOCUS-Redakteur Christian Weber)