Auszug
aus einem FOCUS-Interview mit dem Autor
FOCUS:
Sie tun so, als müsse die christliche Lehre im Mittelalter stehen
bleiben. Warum geben Sie Reformern keine Chance?
Schmidt-Salomon: Auf der Arbeitsgrundlage der Kirchen, dem Evangelium,
lässt sich nichts mehr reformieren. Denn schon in ihrer Grundidee
widerspricht die Bibel der Idee der Menschenrechte. Der Mensch ist
dort ein Sklave Gottes.
FOCUS: Auch Agnostiker anerkennen, dass das Christentum zumindest
die Verbreitung ethischer Werte befördert.
Schmidt-Salomon: Das ist eine Mogelpackung, denn jedes Menschenrecht
ist gegen die Religion erkämpft worden.
FOCUS: Wie begründen Sie Ethik?
Schmidt-Salomon: Wir müssen uns in einer rationalen Diskussion
auf Spielregeln einigen, wie wir Konflikte lösen. Wichtig ist,
dass die Lösung fair ist - auch gegenüber nicht menschlichen
Lebewesen, eben, weil wir den Menschen nicht als Krone der Schöpfung
sehen.
FOCUS: Lassen sich denn aus der Biologie Verhaltensregeln ableiten?
Schmidt-Salomon: Nein, dann müssten wir auch Kindermord und Vergewaltigung
gutheißen. Allerdings scheinen Menschen eine natürliche
Begabung für Mitleid und Mitfreude zu haben. Wir können
durch das Studium der Natur herausfinden, ob eine Norm überhaupt
erfüllt werden kann.
FOCUS: Manche Forscher sehen auch ein genetisch verankertes Bedürfnis
nach Religiosität.
Schmidt-Salomon: Wer Wissenschaft, Philosophie und Kunst besitzt,
braucht keine Religion. Ich definiere Gott als imaginäres Alphamännchen.
Wer überzeugend behaupten kann, er hätte einen besonders
guten Draht zu diesem, erschleicht sich Vorteile in der menschlichen
Säugetierhierarchie. Wir haben nun mal die Verhaltensneigungen
von Primaten. Ein Bedürfnis ist aber kein Gottesbeweis.
FOCUS: Was halten Sie von dem Versuch einiger Theologen und Forscher,
ein Gespräch zu führen und eine konfliktfreie Existenz zu
versuchen?
Schmidt-Salomon: Selten hat sich die Unvereinbarkeit von Religion
und Wissenschaft so deutlich gezeigt wie in den letzten Jahren. Der
Wiener Kardinal Christoph Schönborn hat gerade in der "New
York Times" für den Kreationismus agitiert, mit Rückendeckung
des Papstes. Deshalb brauchen wir Wissenschaftler, die sagen: Hier
widerspricht die Bibel den Menschenrechten, hier den Naturwissenschaften.
FOCUS: Geraten Sie dabei nicht auch in Fundamentalismusgefahr?
Schmidt-Salomon: Nein, die wissenschaftliche Methode besteht ja gerade
darin, dass wir Hypothesen aufstellen, die falsifiziert werden können.
Das ist der erwachsene Zugang zur Wirklichkeit. In diesem Rahmen soll
die Giordano Bruno Stiftung als eine Art Think-Tank des Humanismus
und der Aufklärung wirken. Wir wollen die Wissenschaftler aus
ihrem Elfenbeinturm herausholen, damit sie in die Gesellschaft hineinwirken.
Das Motto heißt: Wissen statt Glauben!
FOCUS: Einige Physiker führt die Beschäftigung mit Elementarteilchen
wieder zurück zu Gott.
Schmidt-Salomon: Diese Wissenschaftler entdecken aber nicht den persönlichen
Gott, sondern etwas Mystisches. Das ist ein Gott, der überall
ist und damit nirgendwo. Das Problem ist der persönliche Gott,
der von seinen Geschöpfen Dinge verlangt, die sie nicht hinterfragen
dürfen. Ein mystischer Gott lässt sich nicht mehr instrumentalisieren.
FOCUS: Wie beantworten Sie die großen Fragen nach Leben und
Tod?
Schmidt-Salomon: Die Erde und die Menschen sind zeitlich begrenzte
Phänomene in einem sinnleeren Universum, das irgendwann den Kältetod
sterben wird. Wenn ich weiß, dass es keinen Sinn an sich gibt,
bin ich dazu ermächtigt, den Sinn aus mir selbst zu schöpfen.
Wenn ich weiß, dass ich endlich bin, werde ich dieses einzige
Leben, das ich habe, auch wirklich leben und genießen. Ein unendliches
Leben wäre unerträglich.
(Aus:
FOCUS 33/05, S.68-70. Die Fragen stellte FOCUS-Redakteur Christian
Weber)
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